Viel Aufwand für ein SGB VIII-Reförmchen

Von der Reform des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) ist nicht viel übriggeblieben. Vor allem fehlt die angestrebte Große bzw. Inklusive Lösung. Eine alles umfassende Zuständigkeit für alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im SGB VIII gibt es in der 18. Legislatur des Deutsche Bundestages nicht.

Geblieben ist mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) ein Gesetz, das vergleichsweise geringe Anpassungen am SGB VIII und anderen Gesetzen vornimmt. Aus unserer Sicht ist das keineswegs immer im Interesse von Kindern und Jugendlichen. Der Bundestag hat dem KJSG zugestimmt, die notwendige Zustimmung des Bundesrates steht aus. In der letzten Sitzung des Bundesrates vor der Bundestagswahl wurde das Thema auf unbestimmte Zeit vertragt.

Das Handeln des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) bei der Reform des SGB VIII war nur selten transparent und partnerschaftlich. Es gab wenig Vertrauen in die Fachlichkeit der Träger, Fachverbände und Expert_innen. Im Interesse von Kindern und Jugendlichen und als Expert_innen für die Jugendverbandsarbeit sowie die Kinder- und Jugendarbeit insgesamt haben wir uns in die Debatten eingebracht. Wir wendeten viel Energie auf, um aktuelle und belastbare Informationen zu beschaffen, zu bewerten und für unsere Mitgliedsorganisationen aufzubereiten.

Uns wichtige Punkte veröffentlichten wir bereits Anfang Oktober 2016 als „Zwischenruf des DBJR zur Reform des SGB VIII“. Als Anfang November 2016 dann die Obersten Landesjugendbehörden der Länder ihre Stellungnahme zur Reform verabschiedeten wurde deutlich, dass wir mit unseren Kritikpunkten nicht alleine stehen. Schon da zeichnete sich ab, dass eine Reform des SGB VIII kommen wird, aber einen deutlich geringeren Umfang als geplant haben würde. Es wurde deutlich, dass die Inklusive Lösung als ursprüngliches Hauptanliegen nicht enthalten sein wird.

Erst Mitte März 2017 veröffentlichte das BMFSFJ mit dem Referentenentwurf ein erstes offizielles Dokument. Wir nahmen dazu Stellung – auch bei der kurzfristigen Verbändeanhörung am 23. März. Neben vielen inhaltlichen Punkten blieb das gesamte Verfahren ein Hauptkritikpunkt. In unserer Stellungnahme begrüßten wir die Absicht, das programmatische Leitbild der Kinder- und Jugendhilfe um die Selbstbestimmung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu ergänzen. Wir unterstützten die Erweiterung der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe um das Ermöglichen der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und die Verwirklichung der Inklusion für junge Menschen. Unsere langjährige Forderung, dass es für den elternunabhängigen Beratungsanspruch nun keine Vorbedingungen mehr geben soll und die Einrichtung von Ombudsstellen in das SGB VIII aufgenommen werden sollen, ist enthalten; leider nur programmatisch und als Kann-Bestimmung. Ebenfalls positiv bewerten wir die geplanten Verbesserungen bei den Regelungen zum Datenschutz in § 72a (5) SGB VIII; und die Reduzierung der Höhe der Kosten für Jugendliche mit eigenem Einkommen, die vollstationäre Leistungen erhalten. Besonders positiv aus unserer Sicht war im Referentenentwurf die Absicht, den Jugend-Check gesetzlich zu verankern. In den Details wurde jedoch deutlich, dass der Jugend-Check weder unseren Mindestanforderungen entspricht noch denen, die im gemeinsamen Zwischenbericht aller Beteiligten verankert sind.

Im April 2017 beschloss das Bundeskabinett den Gesetzentwurf und leitete ihn Bundestag und Bundesrat zu. Nachdem der Bundesrat und andere Organisationen Stellungnahmen veröffentlicht hatten wurde deutlich: Es gibt viele neue und massive Kritikpunkte, in keinem unserer Kritikpunkte stehen wir alleine. Vor allem unsere Kritik an den geplanten Neuregelungen in § 13 (3), 48b und 78f SGB_VIII wurde geteilt.

Sehr kritisch beurteilten wir den § 48b, nach dem zukünftig ALLE EINRICHTUNGEN der offenen Kinder- und Jugendarbeit der Meldepflicht unterliegen sollten, wie sie bisher beispielsweise nur für Kitas und stationäre Einrichtungen gilt. Aus unserer Sicht bringen die Meldepflichten bei den Jugendämtern einen hohen Verwaltungsaufwand, der Personal bindet. Dieses Personal steht für andere Aufgaben, etwa die Beratung und Unterstützung der Träger bei der Implementierung von Kinderschutzkonzepten oder auch der Kontrolle nicht mehr zur Verfügung. Und damit wäre eine wirkungsvolle Prävention nicht mehr möglich, die aus unserer Sicht wichtiger ist als eine Meldepflicht. Mit einer wirkungsvollen Kampagne zum §48b gelang es, Entscheidungsträger_innen in den Fraktionen des Bundestages zu überzeugen, dass der Paragraf die Arbeit der Jugendverbände massiv gefährdet. Während der Aktion gingen unterschiedliche Ebenen der Mitgliedsorganisationen auf Mitglieder des Bundestags oder die Landesregierungen zu. So war ein Erfolg möglich, der Paragraf wurde vom Bundestag gestrichen.

Die Änderung in § 13 (3) SGB VIII (Jugendsozialarbeit) sahen im Vergleich zur bisherigen Regelung vor, die Hilfen auf jene junge Menschen zu beschränken, die Leistungen gemäß § 13 Absatz 2 erhalten. Damit waren nur noch die jungen Menschen im Blick, denen sozialpädagogisch begleitete Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen angeboten werden. Bisher richtete sich der Absatz 3 an alle jungen Menschen während der Teilnahme an schulischen oder beruflichen Bildungsmaßnahmen, zum Beispiel auch an einer regulären Berufsausbildung. Gerade und insbesondere mit Blick auf die Frage nach bezahlbarem Wohnraum für minderjährige und junge volljährige Auszubildende wäre daher eine Erweiterung und keine Eingrenzung der Förderung anzustreben. Durch die Veränderungen wären junge Menschen, die im Rahmen der Berufsausbildung und beispielsweise aufgrund der schwierigeren ökonomischen Lage der Eltern diese Hilfen in Anspruch genommen haben, davon ausgeschlossen gewesen; ebenso wie Schüler_innen, Teilnehmende in Maßnahmen der Arbeitsagenturen und Jobcenter sowie minderjährige und junge volljährige Auszubildende mit Bedarf nach sozialpädagogisch begleitetem Wohnen. Die Chance vieler Jugendlicher auf einen erfolgreichen Abschluss ihrer Ausbildung wäre massiv beeinträchtigt worden.

Gravierend bleibt die Änderung des § 78f SGB VIII. Dadurch haben die Länder die Möglichkeit, die Standards bei der Aufnahme und Betreuung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen abzusenken. Es wird ihnen erlaubt, die Kostenerstattungen an Kommunen einzustellen, wenn es keine gesonderten Rahmenverträge über die Leistungen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) gibt. Wir können zwar das Interesse der Länder nachvollziehen, bei den von ihnen übernommenen Kosten stärker in die Vereinbarungen und Verhandlungen mit den Leistungserbringern eingebunden zu werden. Die vorgesehene Umsetzung kann zu einer Diskriminierung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge und zu Spezialeinrichtungen für diese führen. Mit einer solchen Entscheidung werden Kinder und Jugendliche minderen Rechts geschaffen sowie ein Zwei-Klassen-System in der Kinder- und Jugendhilfe, das aus unserer Sicht den Gleichheitsgrundsatz verletzt. Kommen wird eine Legaldefinition des Begriffs Einrichtungen. Dies ist grundsätzlich in unserem Sinne. Allerdings befürchten wir bei der nun beschlossenen Formulierung ungeplante Nebenwirkungen. So könnten Einrichtungen der Erlaubnispflicht unterworfen werden, für die dies aktuell nicht der Fall ist. Hier werden wir die Umsetzung in den Ländern sehr genau beobachten.

Unabhängig davon: Das SGB VIII wird in der nächsten Legislatur ein wichtiges Thema auf der Agenda der neuen Bundesregierung und auch für uns sein. Viele Änderungsbedarfe sind offen. Bis zu einer Inklusiven Kinder- und Jugendhilfe ist es noch ein weiter Weg. Konkret für die Jugendverbände und die Kinder- und Jugendarbeit heißt das: Es muss geklärt werden, was dies alles für unsere Arbeit und ihre Finanzierung bedeutet. Spätestens mit der Inklusiven Lösung muss auch das Hilfeplanverfahren überarbeitet werden. In diesem partizipativ angelegten Verfahren wird entschieden, welcher Leistungen ein junger Mensch und/oder dessen Eltern bedarf, welche Ziele erreicht werden sollen und wann und wie das ganze überprüft werden soll. Die notwendigen Anpassungen dürfen weder dazu führen, dass hier die Standards der Kinder- und Jugendhilfe aufgegeben werden und das Ganze zu einem formalen Verwaltungsverfahren reduziert. Noch dürfen sie dazu führen, dass im Bundesgesetz die fachlichen Standards im Detail geregelt werden. Hier ist weiter Vertrauen in die Fachleute vor Ort gefragt. Offen ist, wie es gelingt, sozialräumliche Angebote zu stärken, ohne dass sie dazu genutzt werden, die notwendigen Hilfen zur Erziehung und hier vor allem die Einzelfallhilfen zu ersetzen, um Kosten zu sparen. In jedem Fall steht fest: Eine SGB VIII Reform und eine Inklusive Lösung sind nicht zum Nulltarif zu haben.