Jugendpolitik

Stellungnahme zum 14. Kinder- und Jugendbericht

Der DBJR-Vorstand hat am 3. Juni die Position „Stellungnahme des Deutschen Bundesjugendrings zum 14. Kinder- und Jugendbericht“ [1] beschlossen.

A - Der Bericht und zentrale Aussagen aus Sicht der Jugendverbände

Aus Sicht des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR) wird der Bericht seinem Anspruch gerecht, das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen mit den zentralen Änderungen in den Lebenswelten sowie die Vielschichtigkeit der Lebensrealität von jungen Menschen angemessen zu beschreiben. Zudem liefert der 14. Kinder- und Jugendbericht eine umfassende und aktuelle Beschreibung der Situation der Kinder-und Jugendhilfe in Deutschland.

In seiner Stellungnahme beschränkt sich die Arbeitsgemeinschaft der Jugendverbände und Landesjugendringe auf beispielhafte Punkte, die aus Sicht der Jugendverbände und der von ihnen vertretenen Kinder und Jugendlichen eine besondere Relevanz haben und auf Themen, die aktuell die Jugendverbände und -ringe als Träger der Kinder- und Jugendhilfe in besonderer Weise betreffen. Es verwundert nicht, wenn der DBJR in seiner Stellungnahme zuvorderst auf die Aussagen zur sozialen Situation junger Menschen eingeht.

Die Situation, welche der Bericht beschreibt, kommt für den DBJR nicht unerwartet: „Nach wie vor ist festzustellen, dass die soziale Herkunft in hohem Maße die Lebenschancen eines jungen Menschen bestimmt.“[2] Der DBJR ist der Berichtskommission dankbar, dass sie dies als eine leitende Perspektive gewählt hat und diese Entwicklung mit allen wichtigen Ausprägungen und Folgerungen darstellt.

In diesem Zusammenhang attestiert der Bericht in bemerkenswerter Weise, „dass die Ausweitung öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen keineswegs im Selbstlauf zu einer Kompensation dieser herkunftsbedingten Benachteiligungen führt“[3] und es Indizien dafür gibt „dass öffentliche Angebote, Leistungen und Institutionen selbst zur Perpetuierung sozialer Ungleichheit beitragen (können).“[4] Aus Sicht des DBJR folgt hieraus für Gesellschaft und Staat ein Handlungsauftrag für die nächsten Jahre.

Trotzdem bewertet der DBJR die im Bericht konstatierte Entwicklung hin zu einer verstärkten öffentlichen Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen positiv und sieht darin den richtigen Weg. Dabei ist es ihm wichtig, dass, wie im Bericht beschrieben, öffentliche Verantwortung nicht mit staatlicher Verantwortung gleichzusetzen ist. Die wird in folgendem Zitat am deutlichsten: „Denn die meisten Entwicklungen in den Teilbereichen der Kinder- und Jugendhilfe laufen in der Verantwortung und im Auftrag der Kommunen, nicht aber unter ihrer Regie ab. In beinahe allen Fällen einer öffentlichen Verantwortungsübernahme sind zivilgesellschaftliche Akteure in hohem Maß beteiligt […].“[5]

Das von der Kommission herausgehobene und von der klassischen Jugendphase abgegrenzte sogenannte Junge Erwachsenenalter wird als eine eigene Lebensphase im Übergang beschrieben, in der es zu zunehmender Ausdifferenzierung kommt. Diese begrüßenswerte Darstellung macht deutlich, dass nach der klassischen Jugendphase die Übergänge in ein selbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft nicht beendet sind, sondern im Gegenteil die Schritte von der Ausbildung in die Erwerbstätigkeit bis hin zur Familiengründung länger dauern und von weiteren Unsicherheiten geprägt sind.

Unter der Überschrift „Kindheit ist mehr als Kompetenzerwerb“[6] benennt die Kommission die Problematik des bisherigen Fokus auf das Thema Bildung, fragt, ob junge Menschen während des Aufwachsens ausreichende Kompetenzen erwerben, um in einer künftigen Gesellschaft zu bestehen und verweist auf die Gefahr der (Über-)Betonung ökonomischer Aspekte.[7] Dem hat der DBJR nichts hinzuzufügen außer einem Verweis auf seine Position „Jugendverbände machen Bildung – und noch viel mehr“.[8]

Der Bericht äußert sich ebenfalls deutlich zu den Folgen des Ausbaus des Ganztagssystems, durch das Kinder und Jugendliche einen großen Teil ehemals selbstbestimmter, frei verfügbarer Zeit jetzt im System Schule verbringen und der Organisationsgrad ihres Lebens steigt.[9] Aufgrund der Anforderungen, die an Schule gestellt werden (z. B. auch der Betreuungsauftrag) ist alle Zeit, die junge Menschen im System Schule verbringen, strukturiert, organisiert und pädagogisiert. Daher müssen Konzepte und Qualitätsanforderungen auch für die „Schulzeit“ außerhalb des Unterrichts entwickelt werden. Unabhängig von Qualität, Inhalten und Gestaltung der im System Schule verbrachten Zeit, ist diese nicht frei verfügbar und selbstbestimmt. Daher ist aus Sicht des DBJR die zweite Konsequenz, dafür zu sorgen, dass jungen Menschen noch ausreichend von dieser frei verfügbaren und selbstbestimmten Zeit bleibt.

Die Auswirkungen des Ganztagsschulausbaus betreffen nicht nur die jungen Menschen selber, sondern auch die Kinder- und Jugendhilfe mit ihren vielschichtigen Angeboten. Das damit einhergehende und auch im Bericht benannte Thema (zeitliche) Freiräume ist dem DBJR ausgesprochen wichtig. In seiner Forderung nach mehr Freiräumen[10] für junge Menschen sieht sich der DBJR durch den 14. Kinder- und Jugendbericht bestätigt.

Die Folgerung, Ganztagsschulen als „einen Teil des bisher unbestimmten Lebensalltags von Kindern und Jugendlichen am Nachmittag als Gelegenheiten zur Selbstentfaltung, Selbsterprobung und zur Verantwortungsübernahme junger Menschen in den Raum der Ganztagesschule integrieren.“[11] sieht der DBJR ebenso kritisch wie den Vorschlag, einen Jugendarbeitsnachmittag in Ganztagsschulen einzurichten.[12] Dieser Ansatz ist weit entfernt von der Forderung der Jugendverbände nach zeitlichen Freiräumen und (verlässlicher) Zeit, die frei und selbstbestimmt genutzt werden kann,[13] denn auch ein Jugendverbandsnachmittag in der Schule wäre fremdbestimmt und kein zeitlicher Freiraum, den die Kinder und Jugendlichen frei und selbst gewählt gestalten können.

Unter der Überschrift „Die Welt der Medien im Jugendalter“ verweist der Bericht darauf, dass Medien alltäglicher Bestandteil im Leben von Kindern und Jugendlichen sind. Das Internet, insbesondere die sozialen Netzwerke, ermöglichen beispielsweise eine Abgrenzung von den Eltern ohne die Notwendigkeit, sich räumlich zu entfernen. Dies muss bei der öffentlichen Verantwortung für das Aufwachsen berücksichtigt werden. Medienkompetenz ist eine Schlüsselkompetenz für junge Menschen und jene, die sie bei ihrer Entwicklung begleiten. Die Mediatisierung beinhaltet aber auch die Gefahr, in besonderer Weise soziale Ungleichheiten zu reproduzieren und zu verstärken. Die Jugendverbände nehmen sich dieser Herausforderung an.[14]

Der Bericht beschreibt erfreulicherweise die große Bedeutung der Jugendverbände als eine der größten und die älteste der Trägergruppen, benennt aber ebenso die Kerngedanken der Jugendverbandsarbeit: Selbstorganisation, Orte selbstbestimmten Handelns und der Mitwirkung und Mitentscheidung.[15] Auch benennt der Bericht wichtige Herausforderungen, vor denen die Jugendverbände stehen; die sehr kompakte Darstellung fördert allerdings die Gefahr von Missinterpretation der Aussagen, zu der auch die im Bericht benannte mangelhafte empirische Datenlage beitragen kann.

Konsequenterweise ist die (eigenständige) Jugendpolitik eines der Schwerpunktthemen des Berichtes.[16] Er stellt zu Recht fest, dass den wachsenden und an Komplexität zunehmenden Herausforderungen an Kinder und Jugendliche eine in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend verengte und profillose Jugendpolitik gegenüberstand. Diese neu zu konzipieren und auszugestalten ist deshalb eine der wichtigsten Forderungen des Berichtes. Den genannten Grundsätzen einer (eigenständigen) Jugendpolitik und den abgeleiteten Forderungen stimmt der DBJR zu, vertritt aber in der Vision dieser neuen Jugendpolitik eine weniger zaghafte Position.

Als richtige Konsequenz aus der Bedeutung der öffentlichen (i.S. gesellschaftlichen) Verantwortung, der Herausforderungen, vor denen die Kinder- und Jugendhilfe steht und vor allem der unterschiedlichen Voraussetzungen und ungleichen Perspektiven der jungen Menschen spricht sich der Bericht nochmals für die Beibehaltung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Kinder- und Jugendhilfe aus.[17] Aus denselben Gründen kritisiert er die unzureichende Finanzausstattung der Kommunen, für die er eine weitere Verschlechterung erwartet, und sieht die Notwendigkeit für ein zusätzliches und vor allem dauerhaftes finanzielles Engagement von Bund und Ländern.[18] Dies deckt sich mit den Erfahrungen, die Jugendverbände Tag für Tag machen und feststellen, dass die Jugendförderung politisch immer stärker infrage gestellt wird und die prekäre Situation der öffentlichen Haushalte zu einer Kinder- und Jugendhilfe nach Kassenlage führt. Der Bericht fordert nicht nur, er beschreibt auch entsprechende Möglichkeiten. Hier erwartet der DBJR, dass diese zumindest intensiv geprüft werden. Leider äußert sich die Bundesregierung dazu nicht konkret.

B - Wichtige Linien und Aussagen im Einzelnen

Die soziale Situation junger Menschen als die wichtigste Herausforderung des Aufwachsens

Eine leitende Perspektive des Berichtes ist die soziale Ungleichheit. Die hervorgehobene Befassung mit diesem Aspekt des Aufwachsens begrüßt der DBJR ausdrücklich. Der Bericht stellt dabei fest, „dass trotz der Individualisierung von Lebenslagen und Lebensläufen die Ungleichheit keineswegs abgenommen, sondern sich eher verfestigt und in einigen regionalen Bereichen sogar zugenommen hat. Nach wie vor ist festzustellen, dass die soziale Herkunft in hohem Maße die Lebenschancen eines jungen Menschen bestimmt.“[19] Eine aus Sicht des DBJR besonders gravierende Erkenntnis ist die, „dass die Ausweitung öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen keineswegs im Selbstlauf zu einer Kompensation dieser herkunftsbedingten Benachteiligungen führt.“[20] und es Indizien dafür gibt, „dass öffentliche Angebote, Leistungen und Institutionen selbst zur Perpetuierung sozialer Ungleichheit beitragen (können). Für junge Menschen bedeutet dies, dass zwar die überwiegende Mehrzahl von ihnen über gute Entwicklungsbedingungen verfügt, in materiell gesicherten Elternhäusern aufwächst und gute Förder- und Anregungsbedingungen vorfindet, dass sich aber vor dem Hintergrund solcher verbesserter Lebens- und Entwicklungschancen die Situation der quantitativ begrenzten Gruppe der „Abgehängten“ umso problematischer darstellt.“[21]

Besonders an dieser Stelle stellt sich für den DBJR die Frage, wie alle Akteure damit umgehen und welche Konsequenzen Gesellschaft und Staat daraus ableiten können. Vor der sich daraus in letzter Konsequenz ergebenden Polarisierung von Soziallagen hat der DBJR stets gewarnt. Lösungen hierzu werden im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe maximal in kleinen Teilbereichen zu finden sein. Die Herausforderungen an eine Sozialpolitik im Sinne junger Menschen sind umso größer. Daher muss sich die Sozialpolitik umfassend verändern.

Viele Problemlagen und soziale Herausforderungen kumulieren verstärkt sowohl zeitlich als auch in ihren Auswirkungen in einer Lebensphase, die die Kommission in Abgrenzung von der klassischen Jugendphase als eine eigene Lebensphase im Übergang neu beschreibt – das Junge Erwachsenenalter. Es ist gekennzeichnet durch eine schubweise und oftmals prekäre Verselbstständigung und eine Diversifizierung und Individualisierung der Übergänge in das Erwachsenenalter. Spätestens am Ende dieser Lebensphase wird leider oft sichtbar, was die Kommission meint, wenn sie schreibt „Dem Sozialstaat ist es bislang nicht gelungen, herkunftsbedingte Benachteiligungen nachhaltig abzubauen. Im Gegenteil: Die Ausweitung öffentlicher Verantwortung für das Aufwachsen junger Menschen hat sogar unbeabsichtigt zur Entstehung weiterer Ungleichheiten beigetragen.“[22] So ist laut Bericht[23] die Phase der jungen Erwachsenen eine Phase, in welcher die Gruppen der Gewinner und Verlierer wenigstens vorübergehend manifestiert werden. Die Selektion erfolgt dabei maßgeblich durch erworbene allgemeinbildende Schulabschlüsse.

Die ebenfalls benannte Tatsache, dass fast 30 Prozent und damit überproportional viele der 20- bis 25-jährigen Menschen im Jungen Erwachsenenalter von dauerhafter Armut betroffen sind,[24] oftmals aufgrund prekärer Verselbstständigung, ist für den DBJR ein Armutszeugnis der aktuellen Sozialpolitik.

Der Bericht arbeitet heraus, dass gerade – teilweise staatlich gewollte – tiefgreifende Wandlungsprozesse im Arbeitsmarkt- und Beschäftigungssystem dazu geführt haben, dass für den weiteren Lebensweg folgenreiche biografische Entscheidungen unter Bedingungen hoher Unsicherheit und „struktureller Offenheit“ in dieser Phase gefällt und individuell verantwortet werden müssen.[25] Die zu bewältigenden Übergänge sind wenig strukturell abgesichert und unterliegen in ihrem Gelingen in hohem Maße individuellen Voraussetzungen und auch Zufälligkeiten.

Insbesondere eine hohe Zeitersparnis im und parallele Verdichtung von Leistungsanforderungen sowie die institutionell hervorgebrachte Verkürzung von Übergängen scheinen stromlinienförmige Karrierewege zu präjudizieren. Junge Menschen reagieren auf diese Anforderungen sehr unterschiedlich. Ein Teil der jungen Menschen kann – meist aufgrund seiner guten Ausstattung und Ressourcen – diesen Anforderungen entsprechen und strebt auf der Überholspur voran. Andere reagieren mit einer biografischen Pause, z. B. einem Freiwilligendienst als Lernort. Diese biographische Pause kann dabei selbst und unabhängig von äußeren Anforderungen gewählt sein, aber auch Ausdruck mangelnder Alternativen. Wieder andere halten der Verdichtung von Anforderungen und dem damit einhergehenden Zeitdruck nicht Stand und sind gezwungen, durch Verzögerungen Zeit für nachholendes Lernen zu gewinnen.

Der DBJR begrüßt, dass mit dieser Darstellung im Bericht deutlich wird, dass es zu einer zunehmenden Ausdifferenzierung (z. B. durch das beschriebene „Aufwachsen in zwei Geschwindigkeiten“) gekommen ist, dass nach der klassischen Jugendphase der Übergang keineswegs beendet ist und vor allem, dass der Einstieg ins „Erwachsenenleben“ nicht bei jeder und jedem zur gleichen Zeit stattfinden muss.

Aus Sicht des DBJR macht dies auch deutlich, welch hoher Druck auf jungen Erwachsenen in dieser Entwicklungsphase lastet: sich anpassen an beschleunigte Übergangsprozesse und alle Energie und Ressourcen auf effektive und effiziente Bewältigung von verdichteten Anforderungen und beschleunigten Übergängen zu fokussieren. Umso dringender sind die Forderungen des DBJR nach zeitlichen Freiräumen.[26] Der Bericht bestätigt damit die seitens der Jugendverbände geäußerte Kritik an dem Druck auf junge Menschen durch die Umsetzung der Bologna-Reform, aber vor allem auch durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse in und nach der Ausbildungszeit.

Der Bericht beschreibt, dass das Vertrauen der jungen Erwachsenen in die Problemlösefähigkeit der politischen Klasse relativ gering eingestuft wird. Dennoch oder deshalb entwickeln junge Menschen zum Teil neue Formen der politischen Willensbekundung. Sie sind nicht unpolitisch, sondern entwickeln an sich ein vielfältiges Portfolio an Ausdrucksformen politischen Engagements, welches sich nicht vor allem in Parteienzugehörigkeit und -arbeit ausdrückt.[27]

Der Bericht beschreibt für diese Gruppe ebenfalls „eine gestiegene Attraktivität des bürgerschaftlichen Engagements […]. Dabei sind die Motive für dieses Engagement selbst wiederum vielfältig und oft auch pragmatisch. So erwarten junge Menschen von ihrem Engagement nicht nur, dass sie die Gesellschaft im Kleinen mitgestalten können, sondern sie wünschen sich auch den Erwerb berufsrelevanter Qualifikationen und eine Erweiterung ihres Erfahrungswissens.“[28]

Unklar ist hier für den DBJR die Reduzierung auf „Gesellschaft im Kleinen“. Den Erfahrungen des DBJR nach haben junge Menschen auch Anforderungen an das, was als „große Politik“ bezeichnet wird und dementsprechend ein Interesse, auch hier mitzugestalten. Der beschriebene Wunsch nach berufsrelevanten Ergebnissen sieht der DBJR als ein weiteres Symptom des auf jungen Menschen lastenden Druckes und einer zunehmenden Ausrichtung der Politik auf „Verwertbares“.

Kompetenzerwerb – Bildung – Schule und Ausbildung

Unter der Überschrift „Kindheit ist mehr als Kompetenzerwerb“[29] benennt die Kommission die Problematik des bisherigen Fokus auf das Aufwachsen: „Der eine Fokus richtet sich auf das Thema Bildung. Aus dieser Sicht stellt sich vor allem die Frage, ob Kinder und Jugendliche im Verlauf des Heranwachsens ausreichende Kompetenzen erwerben, um in einer, wie auch immer gearteten künftigen Gesellschaft bestehen zu können. Damit kann eine Betonung ökonomischer Aspekte einhergehen: Familien erscheinen dann vorwiegend als Leistungserbringer, die im Hinblick darauf betrachtet werden, ob sie die Potenziale ihres Nachwuchses optimal fördern. Kinder und Jugendliche sind aus dieser Perspektive vor allem Lernende; der Bildungsbegriff reduziert sich – in einer extremen Ausprägung dieser Sichtweise – auf den Erwerb arbeitsmarktrelevanter Kompetenzen. Problematisch an dieser – hier zugespitzten – Perspektive ist, dass sie den Blick verengt. Denn Bildung umfasst mehr als kognitive Fähigkeiten – sie hat personale, soziale und instrumentelle Aspekte. In Erweiterung des Diktums, dass Bildung mehr sei als Schule, könnte man dieser Perspektive entgegnen: Kindheit ist mehr als Kompetenzerwerb.“[30]

Dem hat der DBJR außer einem Verweis auf seine Position „Jugendverbände machen Bildung – und noch viel mehr“[31] nichts mehr hinzuzufügen.

Wenn die Berichtskommission feststellt, „Signifikant für alle Verbände dürfte die Ermöglichung von ganz verschiedenen und vielfältigen Bildungsgelegenheiten sein.“[32], bestätigt dies die Bildungsleistungen der Jugendverbände, ihren Beitrag zum Kompetenzerwerb und ihre Rolle in den aktuellen Bildungsdebatten zur Bedeutung der nonformalen und informellen Bildung. Hierzu verweist der DBJR auf seine Position „Bildung in Jugendverbänden“.[33]

Der Bericht benennt ebenfalls ganz klar die Veränderungen für Kinder und Jugendliche, aber auch für die Kinder- und Jugendhilfe, die sich durch Ausbreitung des Ganztagssystems ergeben: „Mit dem Ausbau der Ganztagesschulen verändern sich die Schulen ebenso wie auch die Rahmenbedingungen des Aufwachsens. Aus traditionell halbtags geöffneten Institutionen mit starker Orientierung auf die Vermittlung kulturell-wissensbasierter Kompetenzen werden Institutionen, in denen Kinder große Teile jener Zeit verbringen, die früher als „Freizeit“ charakterisiert war. Das hat Folgen für die Zeitstrukturen, in denen Kinder leben; es verändert den Organisationsgrad ihres Lebens und die Möglichkeiten ihres Lernens. Dieser Wandel erfasst auch die Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe, weil sie sich einerseits am Ausbau der Ganztagesschulen mit ihren Angeboten beteiligen können und andererseits mit den Folgen und Nebenwirkungen dieser Veränderungen im Zeitalltag der Heranwachsenden konfrontiert werden.“[34] Das damit einhergehende und auch benannte Thema (zeitliche) Freiräume ist dem DBJR keineswegs neu. In seiner Forderung nach mehr Freiräumen[35] für junge Menschen sieht sich der DBJR vom Bericht bestätigt.

Konkret in Bezug auf Ganztagsschule benennt der Bericht die abzusehenden fachlichen-inhaltlichen-politischen Konsequenzen aus der flächendeckenden Ausbreitung dessen, was Ganztagsschule genannt wird:

  • Es wird „darauf ankommen, ob sich die mit dem Ganztagesschulprojekt erhofften Vorzüge tatsächlich realisieren lassen, ob im Endeffekt also die Vorteile gegenüber den Nachteilen und den unvermeidlichen Nebenwirkungen überwiegen, ob das Reformprojekt Ganztagesschule das halten kann, was es verspricht – und was sich viele davon erhoffen.“[36]
  • „Infolgedessen wird es aus Sicht der Kinder- und Jugendhilfe entscheidend darauf ankommen, dass auch für den nicht-unterrichtlichen Teil der Ganztagesschulen eine eigene Qualitätsdebatte geführt wird – und dieser Teil der Schule nicht auf ein konzeptionsloses Freizeit- und Betreuungsangebot reduziert wird.“[37]
  • „Eine Ganztagesschule kann nur dann die Aufgabe der Bildung, Betreuung und Erziehung in einem umfassenden Sinne erfüllen, wenn die Kinder und Jugendlichen dabei selbst zu Akteuren und Ko-Produzenten werden, wenn Ganztagesschulen also auf diese Weise einen Teil des bisher unbestimmten Lebensalltags von Kindern und Jugendlichen am Nachmittag als Gelegenheiten zur Selbstentfaltung, Selbsterprobung und zur Verantwortungsübernahme junger Menschen in den Raum der Ganztagesschule integrieren.“[38]

Wenn Ganztagesschulen einen Teil der bisher frei u.a. zur Selbstentfaltung, Selbsterprobung und zur Verantwortungsübernahme verfügbaren (zeitlichen) Freiräume in den Raum der Ganztagesschule integrieren, wie es der Bericht vorschlägt, um dann in dieser nun verplanten Zeit Gelegenheiten zur Selbstentfaltung, Selbsterprobung und zur Verantwortungsübernahme junger Menschen zu schaffen, sieht dies der DBJR sehr kritisch. Er sieht darin keinen Mehrwert für die jungen Menschen, im Gegenteil: welche Gelegenheiten zu Verantwortungsübernahme (für sich und andere), zur Selbstentfaltung und zur Selbsterprobung kann es geben, als frei verfügbare Zeit, über die in eigener Verantwortung entschieden und selbstständig Gelegenheiten zur Selbsterprobung und -entfaltung gesucht und gefunden werden. Ähnlich kritisch und aus den gleichen Gründen erscheint dem DBJR der Vorschlag im Bericht, einen Jugendarbeitsnachmittag in Ganztagsschulen einzurichten. Dieser Ansatz ist weit von dem entfernt, was Jugendverbände fordern: zeitliche Freiräume und (verlässliche) Zeit, die frei und selbstbestimmt genutzt werden kann (siehe oben und Position 86[39]). Während, so interpretiert der DBJR den Vorschlag der Kommission, beim Jugendverbandsnachmittag junge Menschen weiter fremdbestimmt im System Schule verbleiben und insofern „entmündigt“ werden, als dass sie auch in ihrer „Freizeit“ aus einer für sie getroffenen Vorauswahl von Angeboten der Jugendarbeit wählen müssen, geht die Forderung des DBJR von mündigen jungen Menschen aus, die auch ihrer Freizeit selbstorganisiert gestalten können, die sehr wohl in der Lage sind, das zu tun und zu wählen, was in der jeweiligen Situation für sie subjektiv das Beste ist. Nur so lernen sie Selbstorganisation, Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben und ggf. auch den Umgang mit eigenen Fehlern, Widerständen und Misserfolgen.

Ein Versagen des (formalen) Bildungssystems in Deutschland, auf welches der Bericht zu Recht hinweist, ist die Tatsache, dass ein Fünftel der Hauptschulabsolvent_innen, die an einer Berufsfachschule den Mittleren Bildungsabschluss erwerben, danach – erst einmal oder auch auf Dauer – aus dem Bildungs- und Ausbildungssystem heraus fällt. Die Ausbildungsgänge des Schulberufssystems erhalten bisher nicht die jugend- und bildungspolitische Aufmerksamkeit, die ihrer Bedeutung entsprechen würde, es sei denn dass sie mit dem gravierenden Mangel an Fachkräften in Erziehungs-, Kranken- und Altenpflegeberufen in Zusammenhang gebracht werden. Diese Bewertung des Berichtes teilt der DBJR. Diese fehlende bildungspolitische Aufmerksamkeit begünstigt das Fortbestehen einer problematischen Unübersichtlichkeit, dem Fehlen von Transparenz und eine noch höhere Selektivität nach Schulabschlüssen.

Das formale Bildungssystem hat ebenfalls versagt, wenn der Bericht das duale Ausbildungssystem richtigerweise als durch Segmentierungen gekennzeichnet beschreibt: je schlechter der Schulabschluss von Jugendlichen, desto höher ihr Risiko, keinen Zugang zur betrieblichen Ausbildung zu finden. Wenn diese jungen Menschen dennoch in Ausbildung gelangen, dann zumeist in Berufen mit erhöhtem Arbeitsmarktrisiko.

Auch bei den Studienanfänger_innen zeigt der Bericht die soziale Ungleichheit auf: Ob junge Erwachsene in Deutschland tatsächlich ein Studium aufnehmen, ist in erheblichem Maße von ihrer sozialen Herkunft abhängig.[40] Ein wesentlicher Einflussfaktor auf die Studienentscheidung ist laut Bericht auch das erreichte schulische Leistungsniveau: Schüler_innen mit besseren Abschlussnoten entscheiden sich deutlich häufiger für ein Studium. Zudem spielt das soziale, kulturelle und ökonomische Kapital des Elternhauses bei der Studienentscheidung eine bedeutende Rolle. Die primäre Ungleichheit – das unterschiedliche Leistungsniveau, welches selbst wiederum durch soziale Ungleichheiten produziert wird – wird ergänzt durch eine sekundäre Ungleichheit, die sich in unterschiedlicher Bereitschaft äußert, ein Studium auch mit schlechteren Abiturnoten zu beginnen.

Kinderrechte ins Grundgesetz (GG)

In einem eigenen Kapitel (9.1.4.) spricht sich die Berichtskommission deutlich für eine Aufnahme der Kinderrechte ins GG aus (13.1.3). Die genannten Argumente bestätigen Forderung des DBJR. In der Begründung stellt der Bericht fest, dass „Kinder bei der Vertretung ihrer Interessen auf advokatorische Formen der Interessenvertretung angewiesen [sind], da sie dies noch nicht vollumfänglich für sich selbst übernehmen können.“[41]

Der DBJR begrüßt, dass nach Auffassung der Berichtskommission eine Aufnahme der Kinderrechte ins GG kein Widerspruch zur einfachgesetzlichen Verankerung einzelner Kinderrechte ist. Der Bericht spricht sich zusätzlich zur Aufnahme der Kinderrechte ins GG dafür aus, dass „im SGB VIII an mehreren Stellen zusätzliche Rechtsansprüche implementiert oder bestehende (etwa in § 27 Absatz 1 SGB VIII) beibehalten oder vom Anwendungsbereich her erweitert werden. So sollte etwa der Anspruch von Kindern und Jugendlichen gemäß § 8 Absatz 3 SGB VIII auf Beratung durch das Jugendamt ohne Kenntnis der Personensorgeberechtigten auch unabhängig davon statuiert werden, dass eine Not- und Konfliktlage besteht.“[42]

Der DBJR bedauert, dass die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme nach wie vor auf einer nicht mehr zeitgemäßen gegensätzlichen Position beharrt.

In diesem Zusammenhang und unter Verweis auf Kindergerechtigkeit hebt die Bundesregierung erneut den Nationalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010“ (NAP) vor und verweist auf eine Expertise, die dessen positiven Wirkungen belegen könne: „Mit dem Nationalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010“ (NAP) hat die Bundesregierung wichtige Impulse für mehr Kindergerechtigkeit in Deutschland gesetzt und einen nachhaltigen gesellschaftlichen Prozess angestoßen, an dem sich alle politischen Ebenen, Nichtregierungsorganisationen und Verbände, Vertreter der Wissenschaft sowie Kinder und Jugendliche beteiligen.“[43]

Der DBJR und seine Mitgliedsorganisationen, die sich intensiv in den Entstehungs- und Umsetzungsprozess des NAP eingebracht haben, verweisen auf die schon im Laufe der Prozesse vorgebrachten Kritikpunkte und können leider, mehrere Jahre nach Beginn der Umsetzung des NAP, kaum umfassende Wirkungen der beschriebenen Impulse oder einen nachhaltigen gesellschaftlichen Prozess erkennen.

Mediatisierung

Der Bericht stellt in Übereinstimmung mit den Positionen des DBJR heraus, dass Medien ein zentraler Bestandteil des Alltags von Kindern und Jugendlichen sind. Das Internet, insbesondere die sozialen Netzwerke, spielen laut Bericht bei der Bewältigung zentraler Entwicklungsaufgaben inzwischen eine wichtige Rolle.[44] Autonomie zum Beispiel, die Abgrenzung von den Eltern, ist erreichbar, ohne sich räumlich zu entfernen. Durch das Internet können Kinder und Jugendliche gleichzeitig zu Hause und weit weg der Kontrolle der Eltern entzogen sein.[45] Die Art und Weise, wie Beziehungen entstehen und gepflegt werden, wird vielfältiger; die wechselseitige Anerkennung durch Gleichaltrige (Peers) wird reichhaltiger, die Formen der Ablehnung werden subversiver. Es entstehen neue Varianten von Gemeinschaft und Ausgrenzung. Die Erfahrung von Wirksamkeit wächst durch die Mediatisierung, andere Möglichkeiten für Partizipation und Teilhabe kommen auf. Zugleich werden vor allem beim Zugang zum Internet soziale Ungleichheit und Benachteiligung reproduziert, die durch soziale Lagen entstehen, in denen Kinder und Jugendliche aufwachsen.[46] Die permanente, orts- wie zeitunabhängige Kommunikation durch das Internet und entsprechende – zunehmend mobile – Geräte fördern eine hohe Dynamik in der Lebenswelt junger Menschen – von der Kindheit bis zu den jungen Erwachsenen. Das alles stellt der Bericht fest.

Darauf zu reagieren ist eine Aufgabe, der sich die Gesellschaft im Allgemeinen, der Staat sowie die Kinder- und Jugendhilfe im Besonderen annehmen muss. Aus Sicht des DBJR müssen beispielsweise Jugendhilfe und vor allem Jugendarbeit in der Lage sein oder in die Lage versetzt werden, die Herausforderungen der Mediatisierung zu begleiten; Akteur_innen in diesen beiden Feldern brauchen zeitgemäße Kompetenzen im Umgang mit Medien. Medienkompetenz ist eine Schlüsselkompetenz für junge Menschen und jene, die sie bei ihrer Entwicklung begleiten.

Die Jugendverbände haben sich auf die Entwicklung eingestellt. Sie nutzen das Internet für ihre Kommunikation, organisieren damit ihre Arbeit und bereiten Aktionen vor. Sie testen und entwickeln Beteiligungsverfahren im und mit dem Internet und ergänzen damit ihre etablierten demokratischen Verfahren. Die sehr guten Erfahrungen mit demokratischen Prozessen in der Jugendverbandsarbeit, in den wöchentlichen Gruppenstunden, bei der Planung von Aktivitäten und in verbandlichen Gremien sind ein stabiles Fundament. Von diesem Standpunkt aus positionieren sich die Jugendverbände in der Netzpolitik ebenso wie in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion um Beteiligung im und mit dem Internet (ePartizipation). Dennoch bleiben auch die Jugendverbände Lernende. Insbesondere in der medienpädagogischen Begleitung der Kinder und Jugendlichen steckt in den Verbänden noch Potenzial.

Bei allen Chancen, die in der Mediatisierung stecken, bleibt ein kritischer Blick notwendig. Bei der Partizipation mit und im Internet etwa ist unter anderem die ungleiche Teilhabe an den Potenzialen des Mediums ein Problem. Es braucht passende Lösungen. Riskant ist ebenfalls die Kommerzialisierung der Privatheit, die der Bericht beschreibt. Persönliche Daten – beispielsweise in sozialen Netzwerken – werden häufig unreflektiert preis- und zur wirtschaftlichen Nutzung freigegeben. Ein wirksamer Schutz gegen eine Verwertung ist deswegen wichtig.

Beim Jugend(medien)schutz stellt der Bericht erfreulicherweise heraus, dass Schutzsoftware oder Sperren nur bedingt helfen. Ebenfalls zeigt der Bericht, dass kulturpessimistische Befürchtungen („einer ansteigenden Abhängigkeit, Isolation, Verrohung oder Verschuldung der nachwachsenden Generation“) empirisch nicht bestätigt werden.

Finanzierung und Gesetzgebungskompetenz

Als richtige Konsequenz aus der Bedeutung der öffentlichen (i.S. gesellschaftlichen) Verantwortung, der Herausforderungen, vor denen die Kinder- und Jugendhilfe steht und vor allem der unterschiedlichen Voraussetzungen und ungleichen Perspektiven der jungen Menschen spricht sich der Bericht nochmals für die Beibehaltung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Kinder- und Jugendhilfe aus und bezieht ausdrücklich die sogenannten bildungsnahen Leistungen (z. B. Kita, Kinder- und Jugendarbeit) mit ein.[47]

Er spricht sich darüber hinaus für eine Klarstellung i.S. einer Schärfung dieser Zuordnung im Grundgesetz (GG) aus, um die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Kinder- und Jugendhilfe grundsätzlich zu verankern. Derzeit ist sie (formal) auf die Situationen beschränkt, in denen die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung „erforderlich“ machen. Dies begrüßt der DBJR und verweist auf seine entsprechenden, anlässlich der Föderalismusreform I formulierten Forderungen.[48] Die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe tragen maßgeblich zur Sicherung der Gleichwertigkeit der Bildungs- und Entwicklungschancen von Kindern und Jugendlichen und damit zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse unabhängig von regionalen, sozialen, geschlechts- oder herkunftsbedingten Unterschieden bei. Gesetzlich verankert sind die Angebote daher auf Bundesebene im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII/KJHG). Dies hat sich als modernes Leistungsgesetz bewährt, das ressortübergreifend die Lebenslagen von Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Familien in den Fokus nimmt. Die Rahmenkompetenz des Bundes schafft auch in schwierigen ökonomischen Zeiten eine länderübergreifende Grundlage und sorgt für verlässliche Standards in der Kinder- und Jugendhilfe.

Dass die Bundesregierung keine Notwendigkeit für Änderungen sieht und sich dabei alleine auf die bisherigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts verlässt,[49] bedauert der DBJR.

Der Bericht geht von einem „Gesamtkonzept kommunaler Kinder- und Jugendpolitik im Kontext öffentlicher und privater Verantwortung“[50] aus und hebt folgerichtig ganz besonders die Jugendämter „als organisatorisches „Herzstück“ der Kinder- und Jugendhilfe: als Agentur des Helfens, institutionalisierter Ausdruck des staatlichen Wächteramtes, Akteur im Sozialraum, aber insbesondere als Dienstleister für junge Menschen und Familien.“[51] hervor. Dies unterstreicht der DBJR und betont auch die folgende Forderung des Berichtes: „Alle örtlichen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe sind auch künftig in der Fachbehörde „Jugendamt“ unter einheitlicher Leitung zu erfüllen und sollten nicht auf unterschiedliche kommunale Ämter oder Fachbereiche verteilt werden. Jugendämter müssen noch stärker zu strategischen Zentren einer Gestaltung des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen werden, damit ressortübergreifende Gestaltung möglich ist.“[52] Dabei verweist der DBJR darauf dass die „Aufgaben des Jugendamts […] durch den Jugendhilfeausschuss und durch die Verwaltung des Jugendamts wahrgenommen [werden].“[53] Gerade der Jugendhilfeausschuss als demokratisches und partizipatives Element bedarf einer besonderen Stärkung und Aufwertung.

Konsequenterweise kritisiert der Bericht die unzureichende Finanzausstattung der Kommunen, für die er eine weitere Verschlechterung („Schuldenbremse“) erwartet und sieht die Notwendigkeit, „dass sich Bund und Länder hier zusätzlich und dauerhaft finanziell engagieren. Ansatzpunkte dafür gibt es in mehrfacher Hinsicht.“[54] Dies deckt sich mit den Erfahrungen, die Jugendverbände Tag für Tag machen und feststellen, dass die Jugendförderung politisch immer stärker infrage gestellt wird. Die prekäre Situation der öffentlichen Haushalte führt zu einer Kinder- und Jugendhilfe nach Kassenlage. Die politisch hingenommene Verarmung öffentlicher Haushalte führt dazu, dass der Staat seiner sozialen Verantwortung nicht mehr voll gerecht wird. Argumente wie die Kosten für den Ausbau des formalen Bildungssektors oder angebliche Einsparungen durch den demografischen Wandel verbrämen nur unzureichend, dass in Wirklichkeit nicht der Bedarf junger Menschen im Blick steht, sondern das in den Haushalten (nicht) zur Verfügung stehende Geld. Die zurückgehende Jugendförderung stellt in letzter Konsequenz das verbriefte Recht junger Menschen auf bedarfsgerechte Angebote der Kinder- und Jugendarbeit zur Unterstützung ihrer Persönlichkeitsentwicklung infrage. Es ist daher auch aus Sicht des DBJR erforderlich, neue Wege zu schaffen, wie junge Menschen dieses Recht nicht nur haben, sondern sie auch zu ihrem Recht kommen können.

Die Empfehlung der Berichtskommission bleibt bei dieser Forderung nicht stehen, sondern zeigt auch entsprechende rechtliche und verfahrenstechnische Möglichkeiten auf. Hier erwartet der DBJR von Bund, Ländern und Kommunen, diese zumindest intensiv zu prüfen. Leider äußert sich die Bundesregierung dazu nicht konkret, sondern stellt nur die diversen finanziellen Leistungen des Bundes für die Gemeinden dar und verweist auf eine (angeblich) zu erwartende Verbesserung der kommunalen Finanzsituation.

Sehr positiv hat der DBJR wahrgenommen, dass die Kommission in ihrer Berichtsvorstellung auf der entsprechenden Fachtagung der AGJ ausdrücklich die Instabilität der Förderung in der Jugendarbeit bedauerte und dazu aufforderte, hier Voraussetzungen zu schaffen, die einen mindestens fünfjährigen Planungshorizont für die Träger der Jugendarbeit ermöglich.

Jugendpolitik

Eine (eigenständige) Jugendpolitik ist eines der Schwerpunktthemen des Berichtes.[55] Im Bericht wird ausgeführt, dass Jugend und Jugendpolitik (bisher) ein blinder Fleck gewesen seien: Die politischen wie medialen Debatten und Initiativen konzentrierten sich in den letzten Jahren auf die ersten Lebensjahre – Kindheit schien ein ungleich wichtigeres Thema zu sein als Jugend. Mit diesem Blick auf Kinder, insbesondere auf deren Bildung, gerieten die Belange Jugendlicher und das Jugendalter als eigene Altersphase in den Hintergrund. Wenn überhaupt, wurden Jugendliche eher zur Risikogruppe stilisiert. Dem schließt sich der DBJR an und hofft, die Aussage der Bundesregierung in ihrer Stellungnahme „Mit der Entwicklung einer Eigenständigen Jugendpolitik rückt die Bundesregierung nunmehr die Altersphase Jugend verstärkt in den Fokus.“[56] nicht nur vorübergehend gilt.

Die Kommission zieht letztendlich u.a. folgende Konsequenzen:[57]

  • „Es ist eine jugendpolitische Agenda zu entwickeln, die eine Verständigung über wesentliche Fragen des Aufwachsens und daraus zu ziehende politische Konsequenzen zum Gegenstand hat. Hierzu leistet dieser Bericht einen Beitrag (vgl. Kap. 5 und 6).
  • Im Bereich der Bundesregierung ist dem Jugendministerium durch eine entsprechende Ergänzung der Geschäftsordnung der Bundesregierung die Ressortkoordination für alle jugendrelevanten Themen und Aufgaben zuzuordnen. Diese Koordination soll in Form einer Konferenz auf Staatssekretärsebene unter Federführung des Jugendministeriums umgesetzt werden.
  • Es bedarf der systematischen Überprüfung der gegenseitigen gesetzlichen Kooperationsverpflichtungen zwischen der Kinder- und Jugendhilfe (§ 81 SGB VIII) und den anderen gesellschaftlichen Akteuren. Gegebenenfalls sind die gesetzlichen Vorgaben zu harmoni­sieren (z. B. SGB II zu SGB VIII).
  • In Bündnissen sind die gesellschaftlichen Kräfte in einen dialogischen Prozess einzubeziehen. Dies sind neben Ländern und Kommunen etwa die Verbände, Organisationen und Initiativen der Jugend, Fachforen und Jugendprojekte, die Wirtschaft, die Medien, die Kirchen, Gewerkschaften, Sport und Kultur usw.“

Die Kommission geht mit Blick auf Jugendpolitik noch einen Schritt weiter und benennt als übergeordneten Aspekt: „In ihrem Mittelpunkt müsste vor allem die Frage stehen, wie das Ineinandergreifen von öffentlicher und privater Verantwortung für ein gelingendes Aufwachsen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zukünftig zu gestalten ist. Es liegt dabei auf der Hand, dass sich aus einer derartigen Perspektive Rückfragen an alle beteiligten Akteure ergeben. Wenn man, wie in diesem Bericht, Bildungsprozesse junger Menschen und das Zusammenwirken der verschiedenen Akteure in das Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, dann stellt sich die Frage, was dies konkret im Jugend- und jungen Erwachsenenalter bedeutet.“[58]

Der Kinder- und Jugendbericht stellt also zu Recht fest, dass den wachsenden und an Komplexität zunehmenden Herausforderungen an Kinder und Jugendliche eine in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend verengte und profillose Jugendpolitik gegenüberstand. Diese neu zu konzipieren und auszugestalten ist deshalb eine der wichtigsten Forderungen des Berichtes. Einerseits soll Jugendpolitik „ganzheitlich“ gestaltet werden, also umfassend alle für das Heranwachsen aller jungen Menschen bedeutsamen Aspekte in den Blick nehmen. Andererseits soll die Zuständigkeit für Jugendpolitik klar in einem Ressort angesiedelt werden, das institutionell und verbindlich verankert für die Koordination aller jugendpolitisch relevanten Fragen verantwortlich ist. Gerade die notwendige Ausweitung jugendpolitischer Fragen auf andere gesellschaftliche Bereiche und Sektoren zwinge Jugendpolitik dazu, sich „in gewisser Weise selbst neu zu erfinden“.

Diesen Grundsätzen und Forderungen stimmt der DBJR zu, vertritt aber in der Vision dieser neuen Jugendpolitik eine weniger zaghafte Position.

Um den im 14. Kinder- und Jugendbericht aufgezeichneten Herausforderungen zu begegnen, ist ein umfassendes, eigenständiges Politikfeld notwendig. Dieses muss analog zu anderen Querschnittspolitik-feldern wie der Finanz- oder der Umweltpolitik systematisch die Interessen und Perspektiven von Kindern und Jugendlichen als vielfältiger gesellschaftlicher Gruppe, aber auch von Jugend als gesellschaftlichem Teilsystem aufgreifen, verhandeln, verteidigen und umsetzen. Nimmt man den Duktus des Berichtes ernst, dass die Lebensphase Jugend eigenständig und die Wahrnehmung dieser Eigenständigkeit für das Gelingen der kontinuierlichen Erneuerung der Gesamtgesellschaft unabdingbar ist, dann darf sich die Neugestaltung der Jugendpolitik nicht auf einige inhaltliche Felder und strukturelle Anpassungen beschränken. Auch dürfen die Ziele eigenständiger Jugendpolitik nicht von vornherein aus den Funktionsbedürfnissen anderer gesellschaftlicher Teilsysteme abgeleitet werden.

Ein gelingendes Aufwachsen zu definieren ist selbst ein politischer Aushandlungsprozess. Diesen aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen zu führen, ist Kern einer ganzheitlichen Jugendpolitik, wie sie der DBJR einfordert. Damit ist das Ziel und die Aufgabe von Jugendpolitik die Aushandlung der vielfältigen Interessen der jungen Generationen heute und in Zukunft und ihre parteiliche Vertretung gegenüber anderen gesellschaftlichen Akteuren. Nur eine in diesem Sinne eigenständige Jugendpolitik kann auf Dauer tatsächlich die sich ständig wandelnden Erwartungen an junge Menschen in ihrem Sinne bearbeiten. Als Politikfeld ist sie auch der Ort für das Zusammenwirken verschiedener Akteure und die Aushandlung der im Bericht so zentral beschriebenen öffentlichen und privaten Verantwortungen.

Daher begrüßt der DBJR die Forderung der Berichtskommission, im Bereich der Bundesregierung in einem Jugendministerium durch eine entsprechende Ergänzung der Geschäftsordnung der Bundesregierung die Ressortkoordination für alle jugendrelevanten Themen und Aufgaben zuzuordnen. Die vorgeschlagene Umsetzung in Form einer Konferenz auf Staatssekretärsebene unter Federführung des Jugendministeriums könnte aus Sicht des DBJR ein erster Schritt sein. Eine solche strukturelle Verankerung kann nicht auf die Bundesebene beschränkt bleiben. Ähnliche Wege müssen auch in den Bereichen der jeweiligen Landesregierungen gefunden werden und auf kommunaler Ebene ist sie ebenso notwendig. Mit einem Jugendamt in der Form, der Verfassung und mit den Aufgaben, wie es der 14. Kinder- und Jugendbericht an anderer Stelle einfordert, wäre hierzu ein wichtiger Schritt getan. Für die kommunale Ebene aber auch für die Landesebene gilt es dabei, die vorhandene, gesetzlich normierte Beteiligungsstruktur, die Jugendhilfeausschüsse, entsprechend zu nutzen.

Das im Bericht als dafür notwendige „Klima […] der Anerkennung und des Respekts vor dieser, mit der Bewältigung von vielfältigen Entwicklungsaufgaben verbundenen Lebensphase“[59] ist aus Sicht des DBJR eine der Konsequenzen, die eine neue Jugendpolitik erreichen kann und muss.

Darstellung der Jugendverbände

Im Kapitel 10 „Leistungsfähigkeit der modernen Kinder- und Jugendhilfe“ beschreibt der Bericht die Situation und die Leistungen der Jugendverbände. Dabei nimmt er vor allem auf die große Bedeutung der Jugendverbände als eine der größten – immerhin wurden 2008[60] ca. 54 Prozent und damit die Hälfte aller erfassten Angebote durch Jugendverbände, Jugendringe und Jugendgruppen erbracht – und auch als die älteste der Trägergruppen Bezug. Richtigerweise benennt der Bericht das Problem der vor allem empirischen mangelnden Datenlage in Bezug auf Jugendverbände. Über die o.g. amtliche Erhebung hinaus sind fast nur noch verbands- oder regionalspezifische Daten mit nur eingeschränkter Übertragbarkeit verfügbar. Der damit implizierten Forderung, diese Datenlage zu verbessern, schließt sich der DBJR an und verweist dabei auf die Mitwirkung der Jugendverbände und ihrer Zusammenschlüsse an diversen Forschungsprojekten. Auch stoßen sie selber entsprechende Initiativen an – Beispiele für beides benennt der Bericht.

Das zitierte Ergebnis aus Nordrhein Westfalen, dass die Zahl der von Jugendverbänden erreichten jungen Menschen gegenüber 2004 offenbar gestiegen ist,[61] bestätigt die Beobachtungen des DBJR, dass es auch bundesweit zumindest keinen relevanten Rückgang der Zahl der von Jugendverbände erreichten jungen Menschen gibt und die Arbeit der Jugendverbände allgemein. Dass es dabei zwischen den einzelnen Verbänden und auch zwischen einzelnen Ländern bzw. verbandlichen Gliederungen große Unterschiede gibt, ist nicht unerwartet. Ebenso gibt es auch im (zeitlichen) Längsschnitt betrachtet immer wieder Schwankungen. Beides ergibt sich fast zwangsläufig aus dem, was Jugendverbände ausmacht (siehe unten).

Positiv stellt der DBJR fest, dass der Bericht gleich am Anfang des Abschnittes wichtige Kerngedanken der Jugendverbandsarbeit beschreibt: „Als Jugendorganisationen nehmen sie – auch durch ihre geschichtliche Entwicklung – eine wichtige Rolle in der Selbstorganisation junger Menschen ein […] Sie werden als Orte betrachtet, an denen selbstbestimmtes Handeln möglich ist und Formen der Mitwirkung und Mitentscheidung altersentsprechend erprobt werden können.“[62]

Allerdings ist es für das Verständnis der weiteren Ausführungen des Berichtes zu den Jugendverbänden wichtig, diese auf der Basis der Grundlagen der Jugendverbandsarbeit zu reflektieren. Daher hätte sich der DBJR hier eine etwas umfangreichere und tiefergehende Darstellung gewünscht. Denn Jugendverbände sind werteorientierte Selbstorganisationen junger Menschen, die ehrenamtlich mit sehr geringer hauptamtlicher Unterstützung arbeiten und genau als solche ein wichtiger Teil der Kinder- und Jugendhilfe sind. Das Ausüben und damit das Erlernen und Verinnerlichen demokratischer Entscheidungsprozesse ist dabei Grundlage des Handelns.

Jugendverbände stellen hohe Ansprüche an sich selber und ihre Arbeit (Mitwirkung, Teilhabe, selbstorganisierte Angebote, …) – nur Anbieter zu sein reicht ihnen nicht, auch wenn sie diese Rolle oft zusätzlich wahrnehmen. Für die Jugendverbände ist es wichtig, junge Menschen einzubeziehen, weil sie etwas beitragen wollen, weil ihre Meinung wichtig ist, weil sie zur Wertegemeinschaft passen und nicht nur weil sie einer speziellen Zielgruppe angehören. Daher stimmt der DBJR der im Folgenden zitierten Darstellung des Berichtes, in der die wichtigen Herausforderungen, vor denen die Jugendverbände stehen beschrieben werden. Er verweist dabei aber ausdrücklich auf die oben beschriebene besondere Rolle der Jugendverbände, die sie von anderen Trägern unterscheidet.

Wenn im Bericht steht „Wenngleich sich die Arbeit der Jugendverbände vom Anspruch her an alle Jugendlichen richtet, sind dort im Kern weiterhin eher junge Menschen aus der Mittelschicht organisiert. Bis auf wenige Ausnahmen, z. B. die politisch orientierten Verbände oder die Jugendorganisationen der Hilfs- und Rettungsdienste, sind junge Menschen aus sozial benachteiligten Lebenswelten kaum in den Verbänden vertreten. Auch erreichen sie – trotz durchaus vorhandener Versuche – kaum junge Menschen mit Migrationshintergrund (vgl. z. B. Seckinger u. a. 2009). Ebenso dürften junge Menschen mit Behinderungen in Jugendorganisationen nur wenig anzutreffen sein. Hier – schon wegen des Inklusionsauftrags – besteht noch Nachholbedarf.“,[63] dann besteht aufgrund der sehr kompakten Darstellung allerdings die Gefahr von Missinterpretation der Aussagen des Berichtes. Dazu trägt auch die im Bericht benannte mangelhafte empirische Datenlage bei. So basiert die zitierte Quelle zum zur Zeit sehr dynamischen Arbeitsfeld der Interkulturellen Öffnung auf Daten, die bereits 2008 als kleiner Bestandteil der Jugendverbandserhebung erhoben wurden; Studien zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in Jugendverbände sind nicht benannt und dem DBJR auch nicht bekannt.

Jugendverbände richten sich an alle jungen Menschen, soweit diese die jeweiligen Werte und Interessen teilen. Dies ergibt sich aus dem Selbstverständnis der Jugendverbandsarbeit und ist auch – indirekt – in § 12 SGB VIII („unter Wahrung ihres satzungsgemäßen Eigenlebens“) niedergelegt.

Auf Basis der unterschiedlichen Wertebasis, der Interessenlagen sowie der unterschiedlichen Angebote und Aktivitäten unterscheidet sich, welche jungen Menschen sich in den einzelnen Verbänden (besonders) organisieren. So gehören diese in vielen Verbänden im Kern der benannten „Mittelschicht“ an, in nicht viel weniger Verbänden – der Bericht benennt einige wie die sogenannten politisch orientierten Verbände oder die Jugendorganisationen der Hilfs- und Rettungsdienste, aber die Landjugendverbände (BDL, KLJB und die evangelischen Landjugendverbände) sollen nicht unerwähnt bleiben – gehören viele Mitglieder aber auch dem an, was der Bericht „sozial benachteiligte Lebenswelten“ benennt.

Daher wäre es eine Fehlinterpretation des Berichtes, zu dem Schluss zu kommen, dass die Verbände in ihrer Gesamtheit im Kern nur Angehörige der Mittelschicht erreichen würden.

Ähnlich differenziert ist die Situation in Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund. Selbstorganisationen dieser jungen Menschen (auf Bundesebene z. B. BDAJ, MJD, DIDF-Jugend, viele Mitgliedsorganisationen der djo-Deutsche Jugend in Europa, AmeroDrom u.a.) sind Bestandteil der Jugendverbandslandschaft. In ihnen sind – wie in allen Jugendverbänden – die jungen Menschen organisiert, die die jeweiligen Werte und Interessen teilen. Daher unterscheiden sie sich in Größe, Reichweite, Struktur und Angeboten ebenso, wie alle anderen Jugendverbände. Diese Migrant_innen-Jugendselbstorganisationen (MJSO) zu unterstützen und im System der Jugendarbeit und Jugendhilfe zu etablieren, ist eine Aufgabe, der sich die Gemeinschaft der Jugendverbände schon seit längerem erfolgreich angenommen hat. Initiativen, Aktivitäten und Projekte wie das Netzwerk Interkulturelle Jugendarbeit und -forschung (NiJaf), das Projekt „Jugend 2014 – Migrantenjugendorganisationen als Akteure der Zuwanderungsgesellschaft“, die Initiative Interkulturell.International im Rahmen der politischen Initiative JiVE II, das Coaching-Projekt (2009-2012) der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend (aej) und dem Bund der Alevitischen Jugendlichen in Deutschland (BDAJ), das Projekt „Gemeinsam stark für Vielfalt“ von SJD - Die Falken und DIDF-Jugend, die Arbeitsgruppe Interkulturelle Öffnung der Landesjugendringe, die gemeinsame Fachtagung vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und DBJR im Mai 2012, das Projekt „Integration fördern – Demokratiepotenziale entwickeln – Selbstorganisation fördern“ der aej, das Forschungsprojekt „Interkulturelle Öffnung in der verbandlichen Jugendarbeit – Stand, Möglichkeiten und Hindernisse der Realisierung“ der FH Köln und des Deutschen Jugendinstitutes (DJI) und nicht zuletzt die vielfältigen jugendpolitischen Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft der bundesweiten Jugendverbände und Landesjugendringe, des DBJR, machen dies exemplarisch für die Bundesebene deutlich.

Ein anderer Teil junger Menschen mit Migrationshintergrund fand und findet seine verbandliche Heimat in einem sogenannten tradierten Jugendverband. Auch dies trifft auf jeden der Jugendverbände wieder in unterschiedlichem Maße zu. Alle eint aber, dass diese jungen Menschen herzlich willkommen sind, weil ihre Meinung wichtig ist und weil sie zur Wertegemeinschaft des jeweiligen Jugendverbandes passen. Viele Jugendverbände haben spezielle Anstrengungen unternommen, die evtl. vorhandenen Hemmschwellen und Hindernisse abzubauen. Beispiel dafür sind die Kampagne „Unsere Welt ist bunt“ der DJFW, das Projekt „Open JU“ des Bundesjugendwerks der Arbeiterwohlfahrt, ebenso wie das Projekt „zusammen[ ]wachsen“ des HJR, die Projekte „Ö“ und „Ö2“ des Landesjugendring NRW und die diversen Aktivitäten des BJR (z. B. MultiAction). Der DBJR verweist auch auf die Stellungnahme der Bundesregierung, die dies unterstreicht „Dabei gilt es zu beachten, dass viele Jugendverbände spezifische Interessenslagen ansprechen. Die Ansprache neuer Zielgruppen muss im Rahmen der fachlichen und jugendpolitischen Ausrichtung des Verbandes erfolgen. Viele Jugendverbände haben in den letzten Jahren einen intensiven Prozess der interkulturellen Öffnung begonnen. Dieser Prozess muss fortgeführt werden. Gleichzeitig besteht der Wunsch bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, sich eigenverantwortlich in Migrantenjugendvereinigungen zu organisieren, um ihre spezifischen Fragen mit Peers zu besprechen und ihre Herkunftskultur zu pflegen. Dieses Anliegen unterstützt die Bundesregierung.“[64]

Der Grundgedanke der Inklusion, also die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen Leben, auf den der Bericht ebenfalls richtigerweise verweist, ist den Jugendverbänden immanent und auch eine ihrer jugendpolitischen Forderungen. Einen externen Auftrag oder eine Ableitung z.B. aus der UN-Behindertenrechtskonvention bedarf es dazu nicht. Gleichwohl benennt der Bericht das Thema Inklusion (in Bezug auf Menschen mit Behinderungen) als eine wichtige Herausforderung. Immer dort, wo sich daraus organisatorische (z. B. Bedarf an Gebärdendolmetscher_innen), bauliche oder andere Notwendigkeiten ableiten, fällt es Jugendverbänden oft schwer, dies ohne (finanzielle) externe Unterstützung zu ermöglichen. Entsprechend langsam ist dann eventuell eine Umsetzung.

Die Aussagen des Berichtes zur Juleica „Ein Nachweis für die Kompetenzaneignung im Ehrenamt stellt darüber hinaus auch die Jugendleiter-Card (Juleica) dar. Sie gilt als Nachweis für die Teilnahme an Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zum Jugendgruppenleiter. Bundesweit hat sie als Kompetenznachweis einen wichtigen Status erlangt. Aktuell sind deutschlandweit insgesamt rund 400 000 Juleicas ausgegeben worden. Insgesamt ist für die letzten zehn Jahre von jeweils zwischen 100 000 und 110 000 Personen pro Jahr – überwiegend im Alter von unter 30 Jahren – auszugehen, die im Besitz einer Juleica sind“[65] bestätigen die Jugendverbände und den DBJR und ihren Bemühen, gemeinsam mit den Öffentlichen Trägern die Juleica zu stärken.

Vom Vorstand des DBJR beschlossen am 3. Juni 2013.

***

[1] Soweit nicht anders angegeben, beziehen sich im Folgenden alle Zitatangaben auf den 14. Kinder- und Jugendbericht in der Drucksachenfassung des Deutschen Bundesjugendrings (17/12200).

[2] S. 365

[3] S. 365

[4] S. 365

[5] S. 38

[6] S. 39

[7] Vgl. S. 39

[8] DBJR 2012: Position 86 – „Jugendverbände machen Bildung – und noch viel mehr“

[9] Vgl. S. 38

[10] DBJR 2010: Position 73 – „Selbstbestimmt und nicht verzweckt – Jugendpolitik neu gestalten“

[11] S. 406

[12] Vgl. S. 408

[13] DBJR 2012: Position 86 – „Jugendverbände machen Bildung – und noch viel mehr“

[14] Vgl. DBJR 2008: Position 85 – „ePartizipation – Beteiligung im und mit dem Internet“

[15] Vgl. S. 319

[16] Dem Thema Jugend ist das gesamte Kapitel 5 gewidmet.

[17] Vgl. S. 375

[18] Vgl. S. 381

[19] S. 365

[20] S. 365

[21] S. 365

[22] S. 50

[23] Vgl. S. 218ff

[24] Vgl. S. 219

[25] Vgl. S. 187

[26] u.a. in: DBJR 2010: Position 73 – „Selbstbestimmt und nicht verzweckt – Jugendpolitik neu gestalten“

[27] Vgl. S. 189

[28] S. 189

[29] S. 39

[30] S. 39

[31] DBJR 2012: Position 86 – „Jugendverbände machen Bildung – und noch viel mehr“

[32] S. 320

[33] DBJR 2008: Position 65 – „Bildung in Jugendverbänden“

[34] S. 38

[35] DBJR 2010: Position 73 – „Selbstbestimmt und nicht verzweckt – Jugendpolitik neu gestalten“

[36] S. 405

[37] S. 406

[38] S. 406

[39] DBJR 2012: Position 86 – „Jugendverbände machen Bildung – und noch viel mehr“

[40] Vgl. S. 204f

[41] S. 378 (Drucksachenausgabe)

[42] S. 379

[43] S. 4

[44] Vgl. S. 186

[45] Vgl. S. 177

[46] Vgl. S. 366

[47] Siehe S. 375

[48] Siehe DBJR 2004: Position 22 - “Das Kinder- und Jugendhilfegesetz muss Bundesgesetz bleiben“ und DBJR 2006: Position 45 – „Auswirkungen der Föderalismusreform auf die Kinder- und Jugendhilfe“

[49] Siehe S. 14

[50] S. 50

[51] S. 50

[52] S. 50

[53] § 70 (1) SGB VIII

[54] S. 381

[55] Dem Thema Jugend ist das gesamte Kapitel 5 gewidmet.

[56] S. 4

[57] S. 417

[58] S. 417

[59] S. 10

[60] 2008 war die bisher letzte Erhebung im Rahmen der amtlichen Maßnahmenstatistik.

[61] S. 320

[62] Vgl. S: 319

[63] S. 320

[64] S. 18

[65] S. 320f

Themen: Jugendpolitik