Jugendpolitik

Rede der Vorsitzenden zur Vollversammlung

Lisi Maier und Tobias Köck haben die Vollversammlung eröffnet und ihre jugendpolitische Rede gehalten. Wir dokumentieren diese im Wortlaut.

Letzte Woche sind hier in Dresden Zehntausende auf die Straße gegangen. Gegen Pegida & Co. Gegen den täglichen Rassismus, gegen menschenverachtenden Populismus, gegen Nationalismus. Sicherlich waren einige aus unseren Reihen dabei. Wir als Jugendverbände und Jugendringe stehen hier – an diesem Wochenende in Dresden -  in Vielfalt vereint mit unseren Debatten und Positionen für ein demokratisches, gerechtes und offenes Land!

Und trotzdem müssen wir erleben: Wenn unsere Vollversammlung vorbei ist, wird noch an diesem Wochenende allen Wahlprojektionen nach die AfD noch in den letzten der 16 Landtage eingezogen sein. 

Damit manifestiert sich in den Parlamenten auf Landes- und Bundesebene, was wir auch im gesellschaftlichen Diskurs immer wieder feststellen müssen: Die Demokratie ist in Gefahr. Und wir, wir müssen für sie kämpfen! 

Oft wurde uns Jugendverbänden in den letzten Jahren vorgeworfen, dass wir so vehement einseitig den Rechtsextremismus ins Visier nehmen. Uns wurde geraten, doch auch andere Formen des Extremismus genauer anzuschauen. 

Und jetzt? Jetzt sitzen Rechtspopulisten, Nationalisten und Rechtsradikale in Parlamenten. Sie hetzen gegen Geflüchtete und Migrant*innen, sie stellen die Gleichheit der Geschlechter und die Selbstbestimmung von Frauen infrage. Sie sind hörbar und lesbar antisemitisch, rassistisch und homophob. Sie verpesten das politische Klima und den gesellschaftlichen Diskurs. Sie verrohen die Sprache in unseren Parlamenten. Und sie torpedieren auch unsere Arbeit in den Jugendverbänden.

Rechtsradikale marschieren ungehemmt durch unsere Straßen. Passiert hier in Dresden jeden Montag. Nazis greifen Menschen an, die sich gegen sie stellen oder anders aussehen. 

Oft entsteht der Eindruck: Der Staat guckt zu und macht nichts oder nicht genug. Die Zahl rechtsradikaler Straftaten steigt rasant. In den Medien sind sie aber kein oder kaum Thema. Viele Redaktionen – vor allem im Fernsehen – lassen sich stattdessen von der AfD die Themen in die Sendetitel schreiben. Talkshow ohne AfD oder rechtspopulistische Untertöne auch von anderen Parteien – gibt´s kaum … 

Es reicht!Die Instrumentalisierung von Verbrechen für rechte Märsche und Hetzjagden durch Innenstädte macht uns fassungslos. Uns nervt das Verharmlosen und Leugnen durch Verfassungsschutzpräsidenten. Uns ärgert die Politik des Innenministers und der Bundesregierung: 

  • Totalverschärfung des Asylrechts, 
  • AnKERzentren als Unterbringungsformen für Kinder und Jugendliche, die eindeutig gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstoßen. 
  • Aussetzen des Familiennachzugs. 
  • Verschärfungen der inneren Sicherheit und Polizeigesetze, die Bürger*innenrechte einschränken. 
  • Geschlossene Grenzen zu unseren europäischen Nachbarn. 

Der immer schneller werdenden Normalisierung antidemokratischen Verhaltens – in Worten und Taten – müssen wir die Stirn bieten!

Und das nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Denn demokratiefeindliche Politik, Nationalismus und Rassismus sind ein europäisches Problem: In Ungarn werden Obdachlosigkeit und Lehrstühle für Genderstudien verboten, Ungarn und Polen verabschieden sich von der Rechtsstaatlichkeit und von der Europäischen Union. An der österreichisch-italienischen Grenze geben sich Antieuropäer*innen die Hand. Und wenn wir über Europa hinaus auf Putin, Erdogan und Trump blicken, wird klar: Wir haben ein weltweites Problem.

Wir sind gefordert: Wir müssen laut werden und wir werden laut, 

  • wenn hunderte Menschen im Meer vor den europäischen Grenzen ertrinken,
  • wenn Menschen zu Unrecht eingesperrt werden und verschwinden, 
  • wenn der Rechtsstaat und die Demokratie sich in Luft auflösen. 

Wir wollen die Welt besser machen, wo wir es können.

Auch deswegen arbeiten wir in Europa und weltweit mit unseren Partnern zusammen. Wir haben 2016 mit dem tschechischen Kinder- und Jugendring Vorschläge zur Migrationspolitik der EU gemacht und über die Bedeutung der Europäischen Union gesprochen. Wir haben 2017 gemeinsam 20 Jahre Tandem gefeiert. Wir freuen uns, dass ihr vom Tschechischen Jugendring hier in Dresden bei unserer Vollversammlung 2018 unsere Gäste seid! Herzlich Willkommen!

Im vergangenen Jahr haben wir mit dem israelischen Jugendring und dem Polnischen Jugendring 75 Jahre nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto über den Widerstand gegen die Nazis und Faschisten reflektiert, um für die Gegenwart und Zukunft zu lernen.

Wir stabilisieren unsere Kontakte zum Westbalkan und in die Ukraine.  

Wir tun das alles, weil wir überzeugt sind: Wir Jugendverbände und Jugendringe können dem ganzen braunen Brei unserer Zeit etwas entgegensetzen –  Geschichten und Erfahrungen aus unseren Werkstätten der Demokratie!

Unsere Idee von einem Europa der Jugend, einem Europa, dass sich nicht von Nationalismen treiben lässt, sondern von einem gemeinsamen Verantwortungsgefühl geprägt ist. Diese Geschichten von demokratischem Austausch, von gegenseitiger Toleranz, von Jugendlichkeit und von Solidarität können wir gemeinsam schreiben mit unseren europäischen Partner*innen und lassen dabei die Strategien der Europäischen Institutionen und der Staats- und Regierungschef*innen so eindimensional und alt aussehen, wie sie sind.

Apropos: Steht Deutschland außen- oder innenpolitisch vor einem Problem oder einer Herausforderung, dann muss es in näherer Vergangenheit nicht selten die Jugend richten.

Gegen den Pflegenotstand soll ein Pflichtjahr helfen, welches dann auch noch gleich den solidarischen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft stärken soll. Gegen deutschen Antisemitismus ein deutsch-israelisches Jugendwerk, aber auch ein deutsch-griechisches als Wiedergutmachung für die Austeritätspolitik in der Finanzkrise, ein deutsch-ukrainisches, und so weiter …

Klingt erstmal vielleicht gut. Ist es aber nicht, wenn junge Menschen gezwungenermaßen zu den Lohndrücker*innen für eh schon schlecht bezahlte Pflegefachkräfte werden , wenn durch ein deutsch-israelische Jugendwerk die Rolle der israelischen Jugendverbände geschwächt werden oder bestehende Jugendverbandsstrukturen – wie in der Ukraine – nur am Rande mitgedacht werden.

Allein in den letzten sechs Monaten wurden sechs verschiedene Jugendwerke vorgeschlagen. Das konterkariert die Arbeit der bisherigen Jugendwerke und gut funktionierenden Partnerbüros. Wir haben keinen Mangel an Jugendwerken! Wir haben Bedarf für eine gute Finanzierung von internationaler Jugendarbeit und verbesserten Förderbedingungen, die die Bedürfnisse in den Partnerländern berücksichtigen und zivilgesellschaftliches Engagement und Menschenrechte stärken.

Durch die Arbeit in unseren europäischen und internationalen Strukturen schaffen wir eine starke, demokratische Zivilgesellschaft. In den persönlichen Begegnungen schaffen wir Freundschaften. Und durch die Auseinandersetzung mit inhaltlichen Themen erreichen wir Völkerverständigung.

Gucken wir nach vorne. Wir streiten dafür, dass Rolle und Bild der Jugend im politischen Diskurs besser werden. Junge Menschen dürfen nicht weiter an politischem Einfluss verlieren. Liebe Politik: Hört auf die Jugend, bringt sie in Parlamente, sucht mit uns den Dialog. Es gilt junge Menschen zu beteiligen – ernst gemeint und ernst gemacht:

Wir fordern: Senkt endlich das Wahlalter, am besten auf 14 und lasst unabhängig von der Staatsbürger*innenschaft wählen. 

Im aktuellen Bildungssystem gehen Flexibilität und Freiheit verloren, das ganzheitliche Humboldtsche Bildungsideal ist so gut wie tot. Zeit zum Müßiggang existiert nur noch bedingt. Ein Recht auf Langeweile gibt es nicht mehr für Kinder und Jugendliche. Die Kreativität leidet. 

Wir brauchen einen politischen und gesellschaftlichen Wandel, der jungen Menschen freie Zeit und freie Räume ermöglicht!

Wir fordern: Freiräume fürs Denken, Lachen und das Engagement von Kindern und Jugendlichen. 

Wir kämpfen für die Rechte zukünftiger Generationen. Wir setzen dem Pessimismus einer alternden Bevölkerung die Ideen einer unbekümmerten Jugend entgegen, auch wenn unser Anteil an der Gesamtbevölkerung sinkt. Wir wollen mit unserer Veränderungs- und Risikobereitschaft Gesellschaft gestalten. Wir wollen nachhaltiger Leben.

Bei allen Risiken und Nebenwirkungen der eben beschriebenen politischen und gesellschaftlichen Lage für unsere Arbeit, für die Demokratie und den Frieden. 

Wir wollen als Jugendverbände eine Gesellschaft schaffen, in der Freiheit und Respekt regieren. In der für Fremdenfeindlichkeit, rechte Hetze und Angst kein Platz ist. In der wir und unsere Millionen engagierten jungen Menschen vor Ort zeigen können: In Gruppenstunden, Zeltlagern, beim Hilfseinsatz, im Betrieb, bei Festivals und beim Wandern: wir stehen für Vielfalt, Solidarität, Demokratie und Menschlichkeit ein! 

Es gibt Zeichen der Zuversicht:

  • Wenn 65.000 Menschen aus vielen Ecken Deutschlands gegen Fremdenhass an einem Montagabend in Chemnitz auf die Strasse gehen. 
  • Wenn eine halbe Million Menschen #unteilbar die Mitte in Berlin bunt machen.
  • Wenn es Hunderttausende Menschen in den letzten Monaten für die Solidarität mit der Seenotrettung im Mittelmeer auf die Strasse treibt.
  • Wenn die Bundesstrukturen der Jugendverbandsarbeit rund drei Millionen Euro mehr an finanzieller Unterstützung bekommen.
  • Wenn sich 700.000 Menschen in London gegen den Brexit und für ein geeintes Europa positionieren.
  • Wenn die Bundesregierung sich endlich dazu durchringt, Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben.
  • Wenn friedlicher zivilgesellschaftlicher Protest hilft das #hambibleibt und die Kohlekommission beim Kohleausstieg auch die Beschäftigten im Blick hat.
  • Wenn das Erasmus-Programm verdoppelt und vielleicht noch besser verdreifacht wird.
  • Wenn die Rentenkommission junge Menschen ernstgemeint und ernsthaft in ein wichtiges sozialpolitisches Thema einbezieht.
  • Wenn die Bundesregierung nun endlich ihre Waffenexportpolitik überdenkt
  • Wenn wir im kommenden Jahr 70 Jahre alt werden und dann besonders zeigen können, dass wir Jugendverbände und Jugendringe Werkstätten der Demokratie sind.

Das alles allein rettet noch nicht unsere Demokratie und unsere Gesellschaft  - aber all das sind Schritte in die richtige Richtung!

Als Jugendverbände und Jugendringe werden wir unseren Beitrag leisten. Weil wir wissen, dass Demokratie zu leben und zu gestalten zwar manchmal anstrengend  und mühsam ist. Aber es lohnt sich!

Deshalb: Bieten wir dem Pessimismus und Populismus unserer Tage die Stirn. Setzen wir ihnen den Optimismus und demokratischen Diskurs der Jugendverbandsarbeit entgegen!

 

 

 

 

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