Armut Jugendpolitik Kinderrechte

Ratschlag Kinderarmut verabschiedet gemeinsame Erklärung

Der Ratschlag Kinderarmut ist ein Zusammenschluss aus 51 Akteur*innen aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft, darunter auch der Bundesjugendring. In einer gemeinsamen Erklärung fordert der Ratschlag ein konsequentes Umdenken der Politik im Kampf gegen die Armut von Kindern und Jugendlichen. Bund, Länder und Kommunen müssen endlich gemeinsam an einem Strang ziehen! Weg von einem Kooperationsverbot zwischen den föderalen Ebenen und hin zu einem Kooperationsgebot!

Ein Aufwachsen in Armut wirkt sich auf die Teilhabe an der Gesellschaft aus und prägt Menschen für ihr gesamtes Leben. Seit Jahrzehnten verharrt die Kinder- und Jugendarmut in unserem reichen Land auf einem viel zu hohen Niveau von 20 Prozent. Die Dauer, die Kinder und Jugendliche in Armut leben, verlängert sich sogar seit Jahren. Vor dem Hintergrund einer Sparpolitik, die auch vor Angeboten für Kinder, Jugendliche und ihre Familien nicht haltmacht, fordert der Ratschlag Kinderarmut ein Umdenken im Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen. Nicht die Frage, wer welche Maßnahmen bezahlt, sollte im Vordergrund stehen, sondern die Förderung eines guten Aufwachsens für alle. Dafür braucht es eine Stärkung der Infrastruktur vor Ort. Das wird aber nur funktionieren, wenn Kommunen, Länder und der Bund sich gemeinsam zuständig fühlen und alle Ebenen auch tatsächlich Verantwortung übernehmen.

Nachfolgend die gemeinsame Erklärung im Wortlaut.

Vom Kooperationsverbot zum Kooperationsgebot!

Kinder und Jugendliche müssen ihre Lebenswelt gestalten und mitbestimmen können, in ihrer Gemeinschaftsfähigkeit und Eigenverantwortung gestärkt werden und Demokratie leben können. Familien müssen sich auf eine gute Infrastruktur verlassen können, die sie dabei unterstützt familiäre Sorgearbeit zu leisten. Sie müssen darauf vertrauen können, dass die Gesellschaft ihnen beim gesunden und sicheren Aufwachsen ihrer Kinder hilft.
Nur eine Neujustierung der Aufgaben- und Ausgabenverantwortung von Kommune, Land und Bund kann dies erreichen. Eine verlässliche und auskömmliche Finanzierung der Einrichtungen, Dienste und Angebote im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe und der Förderung von Familien ist unerlässlich. Die bisherige Praxis von Bund, Ländern und Kommunen, die Verantwortung hin- und herzuschieben, verhindert, dass dem verfassungsrechtlichen Auftrag nachgekommen wird, die „Lebensbedingungen des Kindes zu sichern, die für sein gesundes Aufwachsen erforderlich sind und damit zur Persönlichkeitsentwicklung des Kindes“[1] beizutragen.

Diese Praxis muss aufhören. Kinderrechte sind verbindlich umzusetzen! Investitionen für Kinder und Jugendliche sind die gemeinsame Verantwortung von Bund, Ländern und Kommunen. Sie sind jetzt notwendig, um Kinderarmut wirkungsvoll zu bekämpfen und präventiv zu verhindern.

Wir wissen, dass ein Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in Armut gravierende Folgen hat!

Wir wissen, dass jedes fünfte Kind und jede*r vierte Jugendliche von Armut betroffen oder armutsgefährdetet ist.
Wir wissen, dass ein Aufwachsen in Armut Verzicht auf vieles bedeutet, was für andere Gleichaltrige selbstverständlich ist. Wer arm aufwächst, hat es schwerer Freund*innen zu finden, Geburtstage zu feiern oder in einem Sportverein mitzumachen. Die hiervon betroffenen Kinder und Jugendlichen fühlen sich ausgegrenzt und schämen sich.
Wir wissen, dass Armut krank macht. Kinder und Jugendliche, die in Armut leben, haben oft einen eingeschränkten Zugang zu gesunder Ernährung und guten Wohnverhältnissen.
Wir wissen, dass Armut mit schlechteren Bildungschancen verbunden ist. Ohne qualifizierten Bildungs- oder Ausbildungsabschluss haben junge Menschen geringere Chancen auf eine Arbeit, die ihnen einen Lebensunterhalt über dem Existenzminimum sichert.
Wir wissen, dass sich Investitionen für Kinder und Jugendliche auszahlen, weil es Investitionen in die Zukunft sind.[2]

Um Kinderarmut zu bekämpfen und ihre Folgen zu vermeiden, sind umfangreiche Investitionen in die soziale Infrastruktur für Kinder und Jugendliche notwendig!

Kinder, Jugendliche und ihre Familien benötigen verlässlich niedrigschwellige und wohnortnahe Unterstützungsleistungen, wie Jugendfreizeiteinrichtungen, Familienbildungsstätten und Beratungsstellen, die präventiv und stärkenorientiert ausgerichtet sind und sowohl die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen als auch die Erziehungskompetenz von Eltern fördern.
Kinder, Jugendliche und ihre Familien benötigen eine fachlich und personell gut ausgebaute Bildungsinfrastruktur, wie Kindertagesstätten und Offene Ganztagsschulen inklusive Schulsozialarbeit, die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen erhöht, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sichert und sowohl Kindern und Jugendlichen als auch Eltern eine Lebensperspektive eröffnet, die nicht von Armut geprägt ist.
Kinder, Jugendliche und ihre Familien benötigen eine bedarfsgerechte soziale Infrastruktur, die die Bereiche Kinder- und Jugendhilfe, Bildungs- und Gesundheitswesen besser miteinander verzahnt. Hierbei sind präventive Leistungen zu fokussieren, die alle Kinder, Jugendlichen und Familien frühzeitig erreichen und den individuellen familiären und lokalen Rahmenbedingungen Rechnung tragen.
Kinder, Jugendliche und ihre Familien benötigen ausreichende finanzielle Ressourcen, die im Zusammenspiel mit einer gut ausgebauten und qualitativ hochwertigen Infrastruktur das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen erleichtern sowie soziale, kulturelle und Bildungsteilhabe ermöglichen.

Es ist inakzeptabel, dass trotz dieses Wissens nicht genug gegen Kinderarmut getan wird!

Es ist unverständlich, dass trotz aller Studien und aller politischen Aussagen, dass Kinder und Jugendliche unsere Zukunft sind, die finanzielle Förderung der sozialen Infrastruktur derzeit zurückgeht und in Frage gestellt wird.
Es ist unverständlich, dass der Nationale Aktionsplan „Neue Chancen für Kinder in Deutschland“[3] und der Nationale Aktionsplan „Jugendbeteiligung“ verabschiedet werden, ohne dass im Bundeshaushalt entsprechende Haushaltsmittel vorgesehen sind. Wie sollen neue Chancen für Kinder entstehen, wenn nicht für die Sicherung der notwendigen Strukturen gesorgt wird und notwendige Investitionen für Kinder und Jugendliche unterbleiben?

Der Ratschlag Kinderarmut fordert Bund, Länder und Kommunen zum gemeinsamen Handeln auf!

Wir fordern, dass sich Infrastrukturleistungen für Kinder, Jugendliche und Familien sowie monetäre Leistungen im Kampf gegen Kinderarmut und gesellschaftliche Ausgrenzung sinnvoll ergänzen. Für ein gutes Aufwachsen brauchen Kinder und Jugendliche beides.
Wir fordern, dass Bund, Länder und Kommunen gemeinsam Verantwortung übernehmen, und sich zu einem guten Aufwachsen aller Kinder und Jugendlicher verpflichten. Die Sicherung der Daseinsfürsorge findet in den Kommunen statt. Ihre Absicherung ist eine gemeinsame Aufgabe Aller.
Wir fordern, dass die familienbezogenen Leistungen gemäß § 16 SGB VIII ohne individuellen Rechtsanspruch (z.B. Familienbildung, Familienberatung und Familienerholung) sowie die (offene) Kinder- und Jugendarbeit sowie Jugendsozialarbeit als Pflichtaufgaben angesehen und verbindlich umgesetzt werden.
Wir fordern eine stärker primärpräventiv ausgerichtete Kinder- und Jugendhilfe, die im direkten Wohnumfeld von Kindern, Jugendlichen und Familien verlässlich verortet ist und vielfältige Unterstützungsangebote mit niedrigschwelligem Zugang bündelt.
Wir fordern eine strukturelle Verankerung von Armutsprävention durch kommunale Präventionsketten. Verantwortungsbereiche und Leistungen müssen kombiniert, Angebote integriert, sowie ein niedrigschwelliger Zugang im Wohnumfeld von Kindern, Jugendlichen und Familien sichergestellt werden.
Wir fordern, dass armutsbekämpfende und existenzsichernde Leistungen und Maßnahmen für Kinder, Jugendliche und Familien ausgebaut und gebündelt werden, aufeinander abgestimmt sind und bei denjenigen ankommen, die sie brauchen. Einhergehen muss dies mit einem regelmäßigen Monitoring.

Der Ratschlag Kinderarmut setzt sich seit 2016 für die Verbesserung der Situation von Kindern und Jugendlichen und eine auskömmliche finanzielle Absicherung ein.
Nähere Informationen zum Ratschlag und den unterzeichnenden Organisationen und Personen gibt er hier

Den Appell haben unterzeichnet:

Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V.
Arbeiterwohlfahrt Region Hannover e.V.
Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW
Arbeitsgemeinschaft Jugendfreizeitstätten Baden-Württemberg e.V.
AWO Bezirksverband Hannover e.V.
AWO Bezirksverband Mittelrhein e. V.
AWO Bezirksverband Niederrhein e.V.
AWO Bezirksverband Potsdam e.V.
AWO Bundesverband e. V.
AWO Region Hannover e.V.
Bundesarbeitsgemeinschaft Evangelische Jugendsozialarbeit e.V.
Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit (BAG KJS) e. V.
Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtung und Kindertagespflege (BEVKi)
Bundesforum Männer e.V.
Bundesjugendwerk der AWO e.V.
Bundesverband der Familienzentren e.V.
Bundesverband der Mütterzentren e.V.
Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung
Der Kinderschutzbund Bundesverband e. V.
Deutsche Gesellschaft für Systemische Beratung, Therapie und Familientherapie (DGSF e.V.)
Deutsche Liga für das Kind e.V.
Deutscher Bundesjugendring e.V.
Deutscher Caritasverband
Diakonie Deutschland
Deutsches Kinderhilfswerk e.V.
evangelische arbeitsgemeinschaft familie e. V.
Evangelischer Bundesfachverband Existenzsicherung und Teilhabe e.V. (EBET)
Familienplanungszentrum Berlin e.V.
Freie Universität Berlin
Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V.
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
KINDERVEREINIGUNG e.V.
Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen e. V.
National Coalition Deutschland - Netzwerk zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention e.V.
Paritätischer Wohlfahrtsverband, Landesverband RLP/SAL
Präventionsketten Niedersachsen: Gesund aufwachsen für alle Kinder!
Progressiver Eltern- u. Erzieher*innen-Verband NRW e.V. (PEV NRW)
Save the Children Deutschland e.V.
Selbstvertretung wohnungsloser Menschen e. V.
SHIA-Bundesverband e.V.
Sozialdienst katholischer Frauen - Gesamtverein e.V.
Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD)
Sozialverband VdK Deutschland e. V.
Stiftung SPI
Tafel Deutschland e.V.
Verband alleinerziehender Mütter und Väter Bundesverband e.V. (VAMV)
Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V.
VPK-Bundesverband privater Träger der freien Kinder-, Jugend- und Sozialhilfe e.V.
 

Darüber hinaus wird der Appell mitgetragen von:

Gerda Holz, Politikwissenschaftlerin und Sozialarbeiterin, Bochum
Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster, EvH RWL Bochum/Universität Gießen
Prof. Dr. Silke Tophoven, Hochschule Düsseldorf

 

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