Ehrenamt

Ferien(-reisen) für alle

Die 88. DBJR-Vollversammlung hat am 30./31. Oktober 2015 in Heidelberg die Position „FERIEN(-reisen) für alle – ohne Wenn und Aber!“ beschlossen:

In der heutigen Zeit eines verdichteten Alltagslebens bieten jugendverbandliche Ferienreisen einen Freiraum für Gleichaltrige, abseits von Elternhaus und Schule. Ohne Leistungsdruck und Fremdbestimmung werden jungen Menschen Möglichkeiten eröffnet, sich selbst zu erleben und auszuprobieren. Deshalb gehören diese jugendverbandlichen Ferienreisen zum konzeptionellen Bestandteil der Jugendarbeit der Jugendverbände. Sie finden im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe statt und richten sich zuerst an Mitglieder der Jugendverbände, sind aber in der Regel offen für alle Kinder und Jugendlichen.

Die Kinderarmut in Deutschland wächst, immer mehr Familien sind mittellos und kommen aus ihren teilweise prekären Lebensverhältnissen nicht heraus. Ihr Alltag ist geprägt von Hartz IV und Arbeitslosigkeit oder durch prekäre Arbeitsverhältnisse. Angemessene Preise und finanzielle Unterstützung sollen allen Kindern und Jugendlichen die Teilnahme an Ferienfreizeiten ermöglichen, unabhängig von deren Herkunft. Aufgrund der Streichung von Zuschüssen für Freizeit und Erholung haben jedoch zu wenige Kinder und Jugendliche die Gelegenheit, an Ferienfreizeiten bzw. verbandlichem Reisen teilzunehmen.

Die aktuelle Gesetzgebung bietet durch den § 90 (2) Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfegesetz - (SGB VIII) zwar die Möglichkeit, Teilnahmebeiträge durch das zuständige Jugendamt zu übernehmen, jedoch wird diese Praxis in der Regel nicht angewendet. Aber gerade für die oben genannte Zielgruppe sind verbandliche Ferienreisen dringend notwendig, um gemeinsam mit und von anderen Kindern und Jugendlichen zu lernen. Ohne diese Gelegenheiten fehlen neue Perspektiven und Tagesabläufe jenseits des Alltags im gewohnten sozialen Umfeld.

Die Erholung (meist in den langen, zusammenhängenden Sommerferien) und der damit verbundene Freiraum sind nicht nur für die physische und psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen wichtig. Häufig stellen sie die einzige Abwechslung im ganzen Jahr dar. Das steigende Schulpensum und der damit verbundene Erfolgsdruck machen Ruhephasen, Regeneration und Freiräume zunehmend notwendiger, insbesondere bei schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen. Doch circa drei Mio. Kinder und Jugendliche können aus finanziellen Gründen keine Ferien außerhalb ihrer Heimatregion verbringen.[1]

In der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen nehmen verbandliche Ferienreisen (einschließlich Ferien- und Bildungsfreizeiten) eine wichtige Funktion ein. Hier werden spielerisch demokratische Prozesse eingeübt und Teilhabe sowie Mitbestimmung erlebbar gemacht. So sind sie meist an der Planung und Durchführung selbst beteiligt und übernehmen damit im Verband zunehmend Verantwortung. Somit kommen Heranwachsende mit Lebenswelten in Berührung, zu denen sie sonst oftmals nur selten Zugänge haben und treffen z. B. auf Kinder und Jugendliche aus anderen Milieus. Verbandliche Ferienreisen verbinden Spaß mit Bildung, Grenzen austesten mit geschützten Räumen und liefern vielfältige Eindrücke durch die Kinder und Jugendliche eine Empathie entwickeln, die sie zu weltoffenen, toleranten und eigenständigen Mitgliedern unserer Gesellschaft werden lässt. Dadurch sind Freizeiten Orte und Anlässe der Erholung, der Bildung und Partizipation.

Ferienreisen bedeuten für Kinder und Jugendliche auch, ohne die Familie unterwegs zu sein. Die Gemeinschaft und der Kontakt mit Gleichaltrigen stehen im Zentrum. Sie haben großen Anteil an der Persönlichkeitsbildung junger Menschen. Freizeiten bieten soziale Lernräume, in denen Kinder und Jugendliche sich und ihre Ideen einbringen und mitbestimmen können. Reisen bildet und sensibilisiert Kinder und Jugendliche für ihre Umwelt. Es birgt einmalige und prägende Gemeinschaftserlebnisse und Lernerfahrungen, die im späteren Leben eine wichtige Rolle spielen.

Der Ausschluss von Kindern und Jugendlichen von Ferienfreizeiten zementiert eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der junge Menschen aus sozial benachteiligten Lebenslagen „abgehängt“ werden und durch fehlende soziale Räume und Erlebnisse aus ihrer Peer-Group herausfallen. Es ist dabei auch nicht haltbar, wenn Klassenfahrten und Ferienfreizeiten gegeneinander ausgespielt werden und Zuschüsse für außerschulische Maßnahmen in der Praxis deshalb versagt bleiben, weil die Kinder und Jugendlichen an einer Klassenfahrt teilgenommen haben. Denn auch Vereinsfahrten, Freizeiten oder Probenlager kosten meist separate Teilnahmegebühren, die Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Milieus in der Regel nicht leisten können. So werden sie auch innerhalb ihrer Mitgliedschaft exkludiert. Wir Kinder- und Jugendverbände finden das nicht hinnehmbar!

Darum fordern wir:

Alle Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre sollen die Möglichkeit haben, mindestens einmal im Jahr an zwei Wochen verbandlichem Jugendreisen, wie es Jugendverbände, Musik- oder Sportvereine anbieten, teilzunehmen. Dazu sind bei Bedarf die Kostenbeiträge durch den öffentlichen Träger der Jugendhilfe entsprechend der Regelungen in § 90 (2) SGB VIII zu nutzen. Der DBJR fordert im Rahmen der geplanten Novelle des SGB VIII § 90 (2) SGB VIII verbindlicher zu gestalten, indem im Satz 1 „kann“ durch „ist“ ersetzt wird und der 2. Punkt der Voraussetzungen gestrichen wird.

Die Jugendhilfehaushalte der Kommunen sind entsprechend auszustatten. Die Unterstützung der Familien durch Kommunen und Bezirke muss, unabhängig vom Wohn- oder Aufenthaltsort, für diesen Zweck gewährleistet sein. Es darf keine regionalen Unterschiede und damit keine Besser- oder Schlechterstellung geben!

Ebenso muss die Finanzierung von freien Trägern der Jugendarbeit, die Ferienfahrten anbieten, sicher gestellt und ihre Strukturen gestärkt werden. Denn anders als kommerzielle Anbieter erfüllen freie Träger einen öffentlichen Bildungsauftrag. Wir fordern eine Ferienreiseförderung (sommerliche Einmalzahlung bzw. die Übernahme einer Sommerfreizeit zu 100 Prozent pro Kind/Jugendliche_r) zusätzlich zum bereits existierenden Teilhabepaket, das schon durch Teilnahme an Gruppenstunden, Sport und Musikvereine aufgebraucht ist. Auch Flüchtlingskinder sowie Jugendliche und Kinder mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus müssen in die Ferienreiseförderung eingeschlossen sein und berücksichtigt werden.

Gerade im Hinblick auf die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung und die steigende Zahl an schutzsuchenden geflüchteten Familien mit Kindern und Jugendlichen sowie unzählige unbegleitete minderjährige Geflüchtete, dürfen diese nicht außen vor gelassen werden. Diese in Deutschland Aufgenommenen versuchen hier anzukommen und ihre traumatischen Fluchterfahrungen zu verarbeiten. So muss auch für geflüchtete junge Menschen sowie Kinder und Jugendliche mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus der Rechtsanspruch auf Ferienreiseförderung gelten. Hierbei sind auch die Regelungen der Residenzpflicht entsprechend anzupassen, um Kindern und Jugendlichen unbürokratisch eine Teilnahme zu ermöglichen.

Einstimmig beschlossen auf der 88. Vollversammlung am 30./31. Oktober 2015 in Heidelberg.

 

[1] Lt. Aussage des Präsidenten des Deutschen Kinderschutzbundes (DKSB), Heinz Hilgers, u.a. in „Drei Millionen deutsche Kinder machen keinen Urlaub“ in DIE WELT, Newsticker 15. Juli 2013

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