Demokratie

ARGUMENTE: Das Wahlalter absenken

Wir fordern eine Senkung des Wahlalters auf 14 Jahre. Wir haben Argumente zusammengestellt, die unsere Forderung begründen.

Die Vollversammlung des Deutschen Bundesjugendrings hat im Oktober 2016 beschlossen:

Der Deutsche Bundesjugendring fordert die Absenkung des aktiven Wahlalters auf 14 Jahre. Dieses Wahlrecht ist höchstpersönlich, kann also nicht durch Eltern, Erziehungsberechtigte oder Stellvertreter/innen wahrgenommen werden. Die Absenkung muss für Kommunal-, Landtags-, Bundestags- und Europawahlen ebenso umgesetzt werden wie für Bürger/innenentscheide oder –begehren.

Die folgenden Argumente stützen diesen Beschluss. Sie sind ein gutes Fundament in den Debatten um eine Absenkung des Wahlalters und gegen Konzepte zum Stellvertretungswahlrecht.

Wahlrecht als Grundrecht

Die Grundsätze der allgemeinen und gleichen Wahl (Artikel 38 Absatz 1 Grundgesetz) sprechen für das Wahlrecht ohne Altersgrenze. Das Wahlrecht ist ein Recht, das allen Bürger_in unabhängig davon zusteht, ob es tatsächlich ausgeübt wird oder nicht. Altersgrenzen sind daher willkürlich.

Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend untersagt der Allgemeinheitsgrundsatz „den unberechtigten Ausschluss von Staatsbürgern von der Wahl. Er verbietet dem Gesetzgeber, bestimmte Bevölkerungsgruppen aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Gründen von der Ausübung des Wahlrechts auszuschließen und fordert, dass grundsätzlich jeder sein Wahlrecht in möglichst gleicher Weise soll ausüben können.“ Das bedeutet ferner: „Das Wahlrecht darf auch nicht von besonderen, nicht von jedermann erfüllbaren Voraussetzungen (des Vermögens, des Einkommens, der Steuerentrichtung, der Bildung, der Lebensstellung) abhängig gemacht werden. […] Das allgemeine Wahlrecht kann nur aus zwingenden Gründen eingeschränkt werden.“[1] Der damalige Bundeswahlleiter betont: „Mit den Verfassungsprinzipien der allgemeinen und gleichen Wahl wäre es nicht vereinbar [zu prüfen], ob der Wähler geistig in der Lage ist, die Bedeutung der Wahl und der dabei zu treffenden Entscheidung zu würdigen und dementsprechend ‚vernünftig’ zu wählen.“[2]

Sonstige rechtliche Altersgrenzen dienen überwiegend dem Schutz Minderjähriger, häufig im Kontext der Gesundheit und der Entwicklungsgefährdung. Das Wahlrecht ist dagegen weder gesundheits- noch entwicklungsgefährdend, junge Menschen müssen also nicht davor geschützt werden[3].

Mit der zunehmenden Selbstständigkeit junger Menschen geht einher, dass ihnen in vielen Lebensbereichen immer mehr zugetraut wird. Politik hat dem an anderer Stelle Rechnung getragen bzw. diese Entwicklung durch Veränderungen im Bildungssystem weiter forciert. Durch die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur von 13 auf 12 Jahre wird die Eigenverantwortung der Jugendlichen noch einmal erhöht – wesentliche Entscheidungen über die weitere Lebensplanung sind dann von nahezu allen Jugendlichen vor dem Eintritt in die Volljährigkeit zu treffen (Wahl des Ausbildungsplatzes, Studienfachs, …). Außerdem haben auch Jugendliche bereits staatsbürgerliche Pflichten. So zahlen sie etwa als Auszubildende Steuern und sollten deshalb auch mitentscheiden können, was mit dem Geld passiert.

Jungen Menschen wird also seitens der Politik sehr wohl zugestanden, dass sie in der Lage sind, eigenständig und verantwortlich wichtige Entscheidungen zu treffen; eine logische Konsequenz ist daher die Absenkung des Wahlalters.

Jugendliche nehmen den Wahlakt ernst und verantwortungsbewusst wahr. Darauf weist Prof. Klaus Hurrelmann in der Shell-Jugendstudie[4] hin: „Die Jugendlichen gehen mit sehr anspruchsvollen Maßstäben und Qualifikationsvorstellungen an den Wahlakt heran. Sie sind der Auffassung, es gehöre eine umfassende politische Information und eine genaue Kenntnis von Parteiprogrammen und politischen Zusammenhängen als Voraussetzung dazu. Hier sind die Jugendlichen erheblich anspruchsvoller als die ältere Bevölkerung, die teilweise ohne jede sorgfältige politische Vorabinformation an den Wahlvorgang herangeht.“

Ebenso gibt es in allen Altersgruppen Menschen, die sich nicht mit Politik beschäftigen bzw. dafür interessieren. Daher kann auch die Wahlbeteiligung einzelner Altersgruppen niemals ein Argument sein

Verpassen junge Menschen ihre erste Wahl, erhöht dies übrigens die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch an der nächsten Wahl nicht teilnehmen. Der Zusammenhang gilt aber auch umgekehrt: Wer an seiner ersten Wahl teilnimmt, der geht mit großer Wahrscheinlichkeit auch künftig zur Wahl, bildet frühzeitig eine Wahlgewohnheit aus und die eigene Wahlteilnahme wird zu einer Selbstverständlichkeit. Die Zeit um die Vollendung des 18. Lebensjahres ist bei den meisten jungen Menschen eine Zeit großer Umbrüche – von Schulabschluss, zu Umzug und Studiumbeginn. Mit jüngeren Jahren – mit 16 oder 14 – am bekannten Wohnort steigt die Wahrscheinlichkeit, auch wählen zu gehen. Eine Herabsetzung des Wahlalters ermöglicht somit für mehr Erstwähler_innen mit zu machen statt nur zuzuschauen. Mitmachen erzeugt und fördert wiederum das eigene politische Interesse, etabliert und festigt frühzeitig ihre Wahlgewohnheit und kann damit einen Beitrag zur langfristigen Steigerung der Gesamtwahlbeteiligung leisten.[5]

Wahlrecht ist ein höchstpersönliches Recht – zurecht!

Das Wahlrecht ist zu Recht ein höchstpersönliches Recht. Es kann nicht übertragen, abgetreten oder veräußert werden. Dies darf mit keiner Begründung zu Disposition stehen, weil damit enorme Gefahren für die Demokratie verbunden sind. Schon aus diesen Grund lehnen wir jede Bestrebung ab (unabhängig von ihrer jeweils aktuellen Bezeichnung), die das Wahlrecht von Kindern und Jugendlichen auf ihre Eltern oder Familien übertragen oder es von diesen stellvertretend ausüben lassen wollen.

Jenseits der grundsätzlichen Gefahren, die wir grundsätzlich in jeder Abweichung von der Höchstpersönlichkeit sehen und die auch nicht mit dem Grundgesetz übereinstimmt (schon der Gleichheitsgrundsatz im Artikel 3 GG verbietet es einzelnen Personen mehr als eine Stimme zu geben), werden Kinder und Jugendliche nur dann wirklich beteiligt, wenn sie selbst eine eigene und höchstpersönliche Stimme bekommen. Ein Stellvertreterwahlrecht ist kein Ersatz für die eigene Meinungsäußerung sein. Dies gilt auch bei Wahlen und Abstimmungen.

Eine Wahlentscheidung, die durch Eltern bzw. Sorgeberechtigten treuhänderisch vorgenommen wird, hat nichts mit der stärkeren Berücksichtigung der eigenen Interessen von Kindern und Jugendlichen zu tun. So sind etwa die Forderungen und Ansprüche von Kindern und Jugendlichen einerseits und Eltern andererseits oft verschieden.

Es ist das wichtigste Kriterium für wirkliche Partizipation und Beteiligung, dass die Interessen und Forderungen von Kindern und Jugendlichen auch von diesen selbst formuliert werden oder sie ihre Intessenvertreter_innen selber bestimmen, wie es in Selbstorganisationen junger Menschen (Jugendverbänden) passiert oder eben gerade durch den Wahlakt an sich.

Beteiligung

Die stärkere Beteiligung junger Menschen an den gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen ist erklärtes Ziel von Politik und Gesellschaft und ein wesentlicher Bestandteil politischer Bildung. Die Beteiligung an den wichtigsten Beteiligungsprozessen unserer demokratischen Gesellschaft, die über ihre künftige Ausrichtung die Schwerpunktsetzung politischen Handelns entscheiden – den Wahlen, ist dafür eine wichtige Voraussetzung. Wie kann sonst Gesellschaft jungen Menschen erklären, dass sie an ihrem Engagement, ihrer Beteiligung im Sinne eines Beitrags zur (politischen) Willensbildung zwar interessiert ist, dieser für die Zukunft einer demokratischen Gesellschaftsordnung in diesem Land und in Europa zwingend nötig ist, aber die Gesellschaft gleichzeitig diesen jungen Menschen vorgibt, wann Beteiligung erwünscht ist und wann nicht?

Die Anerkennung und rechtliche Verankerung eines Wahlrechts für Jugendliche (mindestens) ab 14 Jahren wäre dagegen die Gewährung eines der bedeutendsten politischen Gestaltungsrechte in unserer Demokratie. Die Wahlaltersenkung ist somit ein klares Signal an junge Menschen dafür, dass nicht nur ihre Pflichten und Verantwortlichkeiten sowie die an sie gestellten Erwartungen zunehmen, sondern auch ihre Rechte.

Entscheidungen, die heute getroffen werden und oft irreversibel sind, betreffen nicht selten die junge Generation direkt, mit ihren Auswirkungen müssen junge Menschen lange Zeit leben.

Kinder- und jugendgerechte Beteiligung muss frühzeitig beginnen. Bereits Kinder müssen an sie betreffenden politischen und gesellschaftlichen Entscheidungen teilhaben können. Mit zunehmendem Alter und wachsender persönlicher Reife muss der Grad der Beteiligung steigen, um junge Menschen so kontinuierlich in die demokratischen Prozesse zu integrieren. Dazu gehören auch Wahlen ab einem Alter, in dem sich junge Menschen dafür interessieren und aktiv werden wollen – häufig ab 14 Jahren.

Junge Menschen haben ein großes Interesse daran, ihr Lebensumfeld aktiv mit zu gestalten und wollen sich engagieren. Ein wichtiges Instrument dafür sind die Wahlen. Daher ist die Absenkung des Wahlalters ein geeignetes Instrument, um auf den verschiedenen politischen Ebenen die Mitwirkungs-und Mitbestimmungsmöglichkeiten für junge Menschen auszubauen und Politik jugendgerechter zu vermitteln.

Das Recht der Jugendlichen zu wählen würde sich außerdem positiv auf die Politik auswirken. Politiker würden die Jugendlichen als potenzielle Wähler_innen verstärkt ernst nehmen und deshalb die Interessen der Jugendlichen besser vertreten.

Warum also 14?

Jede Altersgrenze über null ist willkürlich. Für 14 Jahre spricht, dass auch andere gesetzlich festgelegte Rechte und Pflichten mit 14 beginnen. Mit 14 Jahren dürfen Kinder Mitglied einer Partei werden, ihre Religion wählen oder sind eigeschränkt strafmündig. Offenbar wird 14-Jährigen bereits viel Eigenverantwortung zugetraut, was auch für die Fähigkeit spricht, eine Wahlentscheidung zu treffen. Sozialwissenschaftliche Studien zeigen, dass Kinder bereits ab 12 Jahren, Tendenz immer früher, über das eigene Lebensumfeld hinausblicken und sich für Vorgänge interessieren, die nicht nur sie selbst betreffen.

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[1] BVerfGE 58, 202/205

[2] aus Wahlrecht ohne Altersgrenze, Demokratietheoretische, jugendsoziologische und politische Hintergründe einer überfälligen Reform, Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen

[3] aus Richter, Ingo: Verfassungsrechtliche Aspekte: Voraussetzungen und Grenzen der politischen Beteiligung junger Menschen. In: Hurrelmann, Klaus, Palentien, Christian (Hrsg.): Jugend und Politik. München 1997, 133-137

[4] Jugendwerk der dt. Shell (Hrsg.): Shell Jugendstudie 2006; Ergebnisse abrufbar unter: http://www.shell.com/home/content/dede/society_environment/jugendstudie/2006/jugendstudie2006_engagement.html

[5] Anregung bei: bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/ZD_EINWURF_Sonderausgabe_1-2_2016.pdf

Themen: Demokratie